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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0461
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5. Die zeitgenössischen Texte als Überreste der correctio | 457

siert, sich auf jene Insel in der Scarpe zurückzuziehen. Sichers Frau kommt hierbei
eine besondere Rolle zu, da sie ihren Gatten immer wieder in seinem Beschluss
bestärkte und dies nicht zuletzt, weil auf der Insel bereits eine eremitische Tradi-
tion bestanden habe.1824 Nach der Klärung der Besitzverhältnisse steht sodann die
Person Alards im Mittelpunkt der Darstellung: Der Bischof von Cambrai schickte
zwei Mönche aus Hasnon nach Anchin, um diesen das Mönchtum beizubringen.
Einem von ihnen, Alard, wurde schließlich vom Bischof die Leitung der Gemein-
schaft übertragen. Er sei ein Mann von besonderer simplicitas und bonitas gewesen,
wofür das Auctarium nun einige Beispiele anführt.
Wenn es eine Angelegenheit erforderte, dass Alard reisen musste, habe er das
beste Pferd nicht für sich ausgesucht, sondern das Tier, das geritten wurde, am
Zaum mit dem Zügel geführt. Wenn Mönche im Kreuzgang saßen, habe er sich in
ihre Mitte gesetzt und sich wie einer von ihnen mit großer Besonnenheit verhalten,
mit ihnen völlig vertraut gesprochen und sie vergessen lassen, dass er ihr Herr war.
Und schließlich weiß das Auctarium zu berichten, dass Alard es seinen Mönchen
untersagte, ihm durch das Küssen seiner Hand und seiner Knie oder auf andere
Weise Ehrerbietung entgegenzubringen. Er habe erklärt, dass er mit ihnen bezüg-
lich dieses Brauches zwar Nachsehen habe, dass seinen Nachfolgern allerdings diese
Ehrerbietung durchaus gebühre. Sie sollten aber selbst entscheiden, ob ihnen dieser
kirchliche Brauch angemessen erscheine oder nicht.1825
Diesem Eintrag kommt eine bedeutende Rolle zu: Er dokumentiert die Grün-
dung aus einer rechtlichen Perspektive, indem er sowohl über die Umstände der
Übertragung der Insel als auch über die Privilegien und Schenkungen des Bischofs
von Cambrai berichtet. Angesichts der Tatsache, dass das Kloster beide Gründungs-
urkunden besaß, die in ihrer ausführlichen narratio eben dies thematisieren, wird
schnell klar, dass die reine Dokumentation der Umstände der Gründung weniger im
Vordergrund stand. Vielmehr war der Geist der frühen Gemeinschaft ein besonders
zentrales Thema dieses Berichtes. Die eremitischen Anfänge gehen zum einen auf
Sicher und Walter selbst zurück, die auf jener Insel in der Scarpe zurückgezogen
leben wollten. Zum anderen besitzt aber gerade dieser Ort mit dem heiligen Gordan
bereits eine eremitische Tradition, an die nun angeknüpft wurde. Den Mönchen
sollte bei der Lektüre dieses Textes vor allem das Ideal der Weltflucht vor Augen
geführt werden, für dessen Umsetzung die Insel in der Scarpe nicht nur durch ihre
1824 Siehe dazu oben S. 427-432.
1825 Auctarium, S. 393: »De quo quia se occasio prebuit, übet paucis aperire, cuius simplicitatis cuiusque
bonitatis fuerit. Is etenim, si res exigeret, ut quoquam progredi debuisset, non meliorem equum sibi
eligebat, sed et saepe animal, quo vehebatur, capistro pro freno regebat. Residentibus monachis in
claustro, in medio eorum sedebat, et veluti quilibet ex eis cum sobrietate se agebat, familiariter eis
colloquens, et dominum eorum se esse obliviscens.«
 
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