Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0464
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
460 | IV. Die Abtei von Anchin

Das besondere Interesse, das das Auctarium Odo von Tournai entgegenbringt,
lässt sich zunächst dadurch erklären, dass die Gemeinschaft von Anchin ein sehr
enges Verhältnis zu Odo und seiner Gemeinschaft pflegte, wovon nicht zuletzt
Hermann von Tournai berichtet.1833 Vor allem nach seiner Weihe zum Bischof
von Cambrai 1105 intensivierten sich die Kontakte zwischen ihm und Anchin. Da
Odo, wie bereits an anderer Stelle thematisiert wurde, der Zutritt zu seinem Bi-
schofssitz verwehrt blieb, boten ihm die Mönche von Anchin Zuflucht in ihrer
Gemeinschaft.1834 Von dort übte er sein Amt mit Unterbrechungen aus. 1113 starb
er schließlich in Anchin und wurde in der Klosterkirche begraben. Während seiner
längeren Aufenthalte in Anchin entstanden zahlreiche theologische Schriften, die
in die dortige Klosterbibliothek Eingang fanden.1835 Die besondere Wertschätzung
der Mönche von Anchin für Odo wird auch aus jenem Brief Amands von Castel-
lo an die Mönche von Saint-Martin in Tournai ersichtlich, in dem er sie über den
Tod ihres ehemaligen Abtes unterrichtet. Neben der großen Gelehrsamkeit Odos
stellt dieser Brief die besondere Askese dieses Mannes heraus und macht damit
unmissverständlich deutlich, dass er ein besonders heiliges Leben geführt hatte.1836
Dies und die Tatsache, dass Odo nicht in seiner Gründung in Tournai, sondern in
Anchin begraben wurde, legt die Vermutung nahe, dass es unter Alvisus Bestrebun-
gen gegeben hatte, in Anchin einen Kult um diesen Asketen zu etablieren. Gerade
wenn es darum ging, einer Gemeinschaft Identität zu stiften, spielten nicht selten
Heiligenkulte eine wichtige Rolle, da der Heilige jene Ideale verkörperte, denen sich
die Mönche verpflichtet fühlen sollten. 1837
Im Falle Anchins lassen sich ansatzweise Spuren eines Kultes um die Person
Odos nachweisen. Anstelle einer ausführlichen Vita ist aus Anchin das gesamte
theologische Werk Odos und der bereits genannte Brief Amands von Castello über-
quam 70 monachos infra 12 annos in eo congregaverit, constructis sufficientibus eis officinis, tanta
agrorum amplitudine adquisita tantaque substantia, que superhabundaret ad necessarios usus tarn su-
pervenientem hospitum, quam inhabitantium monachorum.« Die Zahl der 70 Mönche findet sich inte-
ressanterweise auch in dem 1105 verfassten Text aus Saint-Martin wieder, siehe dazu oben Anm. 1334.
1833 Hermann, Liber, c. 55, S. 298. Zur Bewertung des Berichts Hermanns, wonach bereits zu Zeiten Abt
Haimerichs von Anchin der dort praktizierte Ordo eingeführt wurde, siehe oben S. 443-446 und
J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 126-127, S. Vanderputten, Monastic Reform, Abbatial Leader-
ship, S. 44-45.
1834 Siehe dazu oben S. 355-357.
1835 Douai, BM, ms. 201.
1836 Amand von Castello, De Odonis, S. 944: »Fit in pauperes Christi rerum distractio, cibi et potus absti-
nentia, carnis maceratio, et omne Studium, quod in saecularibus disciplinis prius insumpserat, in veram
convertens philosophiam, de discipulis suis socios fecit, exemplo sui et doctrina multos convertit, et
postmodum, relicto foris clerico, monachus effectus, monasterium quod dicitur ad Sanctum Martinum
Tornaci exstruxit.«
1837 C. Zwanzig, Gründungsmythen; für das Beispiel der heiligen Bischöfe von Angers J. M. Matz, La
construction d’une identite.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften