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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0503
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7. Die Vita Gosuini prima | 499

zu beheben und mit widerspenstigen Mönchen umzugehen gewusst.2021 Die Vita
secunda berichtet zudem, dass Gossuin auch nicht davor zurückschreckte, unfähige
Prioren ihres Amtes zu entheben.2022 Als Abt habe er zwar stets das Geistliche dem
Weltlichen vorgezogen,2023 die Vita prima weiß aber dennoch zu berichten, wie er
sich auf vorbildliche Weise auch um die weltlichen Angelegenheiten des Klosters
kümmerte. So wird beispielsweise ausführlich dargelegt, wie der Abt einen Konflikt
mit den Kanonikern von Tours um den Besitz von Baralle beilegte.2024
Der in beiden Viten angeführte Katalog von Tugenden und Idealen macht es
äußerst schwierig, eine individuelle Prägung zu erkennen, da nahezu alle wichti-
gen monastischen, aber auch allgemein christlichen Tugenden thematisiert werden.
Entscheidend ist jedoch, dass diese in den Viten sehr oft an konkreten Situationen
und Handlungen veranschaulicht werden. Gossuin fungiert darin als Exempel für
einen Mönch, der diese Ideale und Tugenden nicht einfach befolgte, sondern sie
in besonderem Maße verinnerlicht hatte. Seine Verhaltensweisen und Handlungen
sind geradezu natürlich und spiegeln seine Überzeugung wider.
Viele dieser idealen Verhaltensweisen und Haltungen finden sich auch in De
novitiis instruendis wieder. Als Beispiel soll jenes Kapitel des Traktats dienen, in
dem es um Diffamierungen und Beleidigungen geht, ein Thema, das mit zu den
größten Herausforderungen des gemeinschaftlichen Lebens zählte.2025 Die Vita se-
cunda kommt ebenfalls auf dieses Thema zu sprechen und berichtet, dass Gossuin
alle bösen Worte ignorierte und bei jedem Murmeln der Mönche weghörte.2026 Mit
den beiden Viten erhält das abstrakte Wissen aus De novitiis instruendis nun aber
eine scheinbar reale Bezugsgröße, nämlich die Person und die Handlungen Abt
Gossuins.

2021 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 7, S. 122-124; vgl. auch R. Gibbon, Vita Gosuini secunda, c. 19,
S. 225.
2022 R. Gibbon, Vita Gosuini secunda, c. 23, S. 232: »Priores ecclesiae suae, qui, propter aliqua acciden-
tia officio Prioratus apposite, indigni administrators errant, nec tarnen sine gravi scandalo degradari
poterant, tarn callide submovebat, ut aliquid excellentius iniungeret, quod eorum vires excederet, vel
personae eorum minime conveniret; quatenus occasione oneris, quod ipsi recusarent vel dedignarentur,
Pr^latione, qua indigni errant, sine scandalo privarentur.«
2023 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 6, S. 119-120.
2024 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 12, S. 134-137. Es folgt ein weiterer Konflikt zwischen Aleman,
einem Dienstmann des Klosters, und einem gewissen Chiretus; ebd., II, c. 14, S. 139-143.
2025 M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 129-131.
2026 R. Gibbon, Vita Gosuini secunda, c. 18, S. 225: »Verba murmuantium reprimendo, vel potius non
obaudiendo annihilabat.«
 
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