500 | IV. Die Abtei von Anchin
7.4. Anchin, ein »Reformzentrum«?
In der bisherigen Forschung besteht kein Zweifel darüber, dass von der Abtei von
Anchin eine große »Reformbewegung« ausgegangen sei, die weit über Flandern
hinaus bis nach Frankreich ausgestrahlt habe. Sproemberg sah in der »Reformbe-
wegung« von Anchin eine zweite große »Reformwelle«, die eine erste von Saint-
Bertin ausgehende Bewegung ablöste.2027 Auch Gerzaguet betont die Strahlkraft
Anchins und sieht den Höhepunkt ihrer »Reformtätigkeit« in den Abbatiaten des
Alvisus und Gossuins. Für die Zeit von den Anfängen der Abtei bis zum Tod Abt
Gossuins zählt er insgesamt 19 Klöster, die von Anchin aus »Reformen« erhalten
haben sollen.2028
Diese beträchtliche Zahl, die Anchin zu einer »pepiniere de religieux refor-
mateurs« 2029 werden lässt, kommt allerdings dadurch zustande, dass ganz unter-
schiedliche Phänomene unter dem Begriff der »Reform« subsummiert werden.2030
Das Spektrum reicht dabei von Äbten, die ursprünglich aus Anchin stammten, bis
hin zu Mönchen, die in andere Gemeinschaften gesandt wurden. Aber bereits das
letztere der beiden Phänomene bereitet Schwierigkeiten, da die Präsenz von Mön-
chen aus Anchin nicht zwangsläufig mit einer correctio verbunden sein muss. So
ist beispielsweise in der zwischen 1122 und 1135 verfassten Chronik von Affligem
die Rede davon, dass 1086 zwei Mönche aus Anchin, Titubaldus und Radulfus,
nach Affligem gekommen seien, um der jungen Gemeinschaft in ihren Anfängen
zu helfen.2031 Auch die Abtei von Saint-Martin erhielt nach dem Zeugnis Hermanns
von Tournai Hilfestellungen von Mönchen aus Anchin.2032 Schenkt man den bei-
den Texten Glauben, wird deutlich, dass dabei keinesfalls die Rede von correctio-
nes im engeren Sinne sein darf. Besonders interessant ist allerdings die Tatsache,
dass die Gemeinschaften von Affligem und Saint-Martin in der ersten Hälfte des
12. Jahrhunderts offensichtlich großen Wert darauf gelegt hatten, eine Verbindung
zwischen Anchin und der Geschichte ihres Hauses herzustellen. Demzufolge muss
2027 H. Sproemberg, Alvisus, S. 130-131; in ähnlicher Weise spricht auch noch S. Vanderputten, A Time of
Great Confusion, S. 49 von einer zweiten Generation von Reformern.
2028 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 185-200 führt folgende Klöster als »etablissements reformes
par Anchin« (S. 199) auf: Affligem (1086), Saint-Martin in Tournai (1093), Fesceau (1093-1106), Mar-
chiennes (1102), Cateau (1115), Marchiennes (1116), Saint-Medard in Soissons (1116?), Saint-Vincent
in Laon (1120), Saint-Crepin in Soissons (1121?), Saint-Remi in Reims (1122?), Saint-Sepulchre (1122),
Lobbes (1131), Crespin (1132), Saint-Quentin in Peronne (1133), Honnecourt (1135), Marchiennes
(1136), Saint-Corneille in Compiegne (1148), Hautmont (1155), Saint-Thierry (1157).
2029 VgL dazu J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 185.
2030 Dies bemerkt). P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 200 selbst.
2031 Chronicon Affligemensis, c. 5-6, S. 409.
2032 Hermann, Liber, c. 55, S. 97.
7.4. Anchin, ein »Reformzentrum«?
In der bisherigen Forschung besteht kein Zweifel darüber, dass von der Abtei von
Anchin eine große »Reformbewegung« ausgegangen sei, die weit über Flandern
hinaus bis nach Frankreich ausgestrahlt habe. Sproemberg sah in der »Reformbe-
wegung« von Anchin eine zweite große »Reformwelle«, die eine erste von Saint-
Bertin ausgehende Bewegung ablöste.2027 Auch Gerzaguet betont die Strahlkraft
Anchins und sieht den Höhepunkt ihrer »Reformtätigkeit« in den Abbatiaten des
Alvisus und Gossuins. Für die Zeit von den Anfängen der Abtei bis zum Tod Abt
Gossuins zählt er insgesamt 19 Klöster, die von Anchin aus »Reformen« erhalten
haben sollen.2028
Diese beträchtliche Zahl, die Anchin zu einer »pepiniere de religieux refor-
mateurs« 2029 werden lässt, kommt allerdings dadurch zustande, dass ganz unter-
schiedliche Phänomene unter dem Begriff der »Reform« subsummiert werden.2030
Das Spektrum reicht dabei von Äbten, die ursprünglich aus Anchin stammten, bis
hin zu Mönchen, die in andere Gemeinschaften gesandt wurden. Aber bereits das
letztere der beiden Phänomene bereitet Schwierigkeiten, da die Präsenz von Mön-
chen aus Anchin nicht zwangsläufig mit einer correctio verbunden sein muss. So
ist beispielsweise in der zwischen 1122 und 1135 verfassten Chronik von Affligem
die Rede davon, dass 1086 zwei Mönche aus Anchin, Titubaldus und Radulfus,
nach Affligem gekommen seien, um der jungen Gemeinschaft in ihren Anfängen
zu helfen.2031 Auch die Abtei von Saint-Martin erhielt nach dem Zeugnis Hermanns
von Tournai Hilfestellungen von Mönchen aus Anchin.2032 Schenkt man den bei-
den Texten Glauben, wird deutlich, dass dabei keinesfalls die Rede von correctio-
nes im engeren Sinne sein darf. Besonders interessant ist allerdings die Tatsache,
dass die Gemeinschaften von Affligem und Saint-Martin in der ersten Hälfte des
12. Jahrhunderts offensichtlich großen Wert darauf gelegt hatten, eine Verbindung
zwischen Anchin und der Geschichte ihres Hauses herzustellen. Demzufolge muss
2027 H. Sproemberg, Alvisus, S. 130-131; in ähnlicher Weise spricht auch noch S. Vanderputten, A Time of
Great Confusion, S. 49 von einer zweiten Generation von Reformern.
2028 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 185-200 führt folgende Klöster als »etablissements reformes
par Anchin« (S. 199) auf: Affligem (1086), Saint-Martin in Tournai (1093), Fesceau (1093-1106), Mar-
chiennes (1102), Cateau (1115), Marchiennes (1116), Saint-Medard in Soissons (1116?), Saint-Vincent
in Laon (1120), Saint-Crepin in Soissons (1121?), Saint-Remi in Reims (1122?), Saint-Sepulchre (1122),
Lobbes (1131), Crespin (1132), Saint-Quentin in Peronne (1133), Honnecourt (1135), Marchiennes
(1136), Saint-Corneille in Compiegne (1148), Hautmont (1155), Saint-Thierry (1157).
2029 VgL dazu J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 185.
2030 Dies bemerkt). P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 200 selbst.
2031 Chronicon Affligemensis, c. 5-6, S. 409.
2032 Hermann, Liber, c. 55, S. 97.