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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0516
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512 | IV. Die Abtei von Anchin

Über Albert, den letzten Schüler Gossuins, der 1157 die Leitung der Abtei von
Saint-Thierry in Reims übernahm, ist nichts Näheres bekannt.2095
Fazit
Das in der Forschung gezeichnete Bild Anchins als »Reformzentrum« ist deutlich
zu differenzieren. Es folgt in weiten Teilen dem von Hallinger vertretenen »mo-
narchischen Prinzip der Filiation«. Darüber hinaus werden ganz unterschiedliche
Phänomene in die Kategorie der »Reform« gerückt.2096 Diese reichen von Hilfe-
stellungen für junge Gemeinschaften über Impulse zur correctio in sehr alten und
ehrwürdigen Häusern bis hin zur Wahl besonders fähiger Mönche aus Anchin zu
Äbten anderer Gemeinschaften. Im letzteren Fall muss dies nicht zwangsläufig in
Zusammenhang mit correctiones der entsprechenden Klöster stehen.
Eine Differenzierung ist auch auf der zeitlichen Ebene vorzunehmen. So sind
die Interventionen von Mönchen aus Anchin in anderen Gemeinschaften Ende des
11. Jahrhunderts keinesfalls mit jenen der Zeit des Alvisus zu vergleichen. Nach der
Konsolidierung der Gemeinschaft lieferte Anchin die ersten Äbte und sandte die
ersten Impulse zur correctio in bestehende Gemeinschaften wie Marchiennes und
etwas später Saint-Crepin, Saint-Medard und Saint-Remi aus. Ab 1130 sollte sich
die Rolle Anchins ändern. Vor allem bei einigen Abtserhebungen lassen sich Zusam-
menhänge mit den Generalkapiteln jener Jahre erkennen. Da die abbates compro-
vinciales in ihrem Vorhaben unter anderem dem Einfluss Bernhards von Clairvaux
ausgesetzt waren, liegt es nahe, dass sie mit dem sich etablierenden Filiationsmodell
der Zisterzienser vertraut waren und ihre eigene Kloster- und Personalpolitik daran
orientierten. Was letztlich die Präsenz eines aus Anchin stammenden Abtes in den
jeweiligen Gemeinschaften bedeutet, ob dieser die auf den Generalkapiteln gefass-
ten Beschlüsse umsetzte oder an die lokalen Gegebenheiten anpasste, ist äußerst
fraglich. So prominente Fälle wie Lobbes (1131) und Marchiennes (1141) zeigen je-
denfalls, dass die betroffenen Gemeinschaften einer zu großen Einflussnahme von
außen heftigen Widerstand entgegensetzten und ihre Eigenständigkeit verteidigten.

2095 VgL das Martyrologium von Saint-Thierry, Reims, BM, ms. 349, fol. 189: »Quartus decimus Albertus,
quondam abbas et aquicincti monachus.«
2096 Dies gilt auch für die Terminologie: Jeder Kontakt mit Anchin wird mit den Begriffen »reforme« oder
»religieux reformateur« belegt. Aber bereits der Begriff der »reforme« macht deutlich, dass damit ganz
unterschiedliche Dinge beschrieben werden. So sind die ab 1116 greifbaren Veränderungen in der Abtei
von Marchiennes deutlich von den auf den Generalkapiteln beschlossenen »Reformen« der Observanz
zu unterscheiden.
 
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