Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0540
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
536 | Schlussfolgerungen

das hohe intellektuelle Milieu mit ein Grund dafür, dass sich das spirituelle Leben
der Gemeinschaft darüber hinaus an einer Vielzahl von anderen Texten orientierte.
3.3. Verinnerlichung
Die Verinnerlichung klösterlich-monastischer Ideale, der spirituellen Leitideen ei-
ner Gemeinschaft, sollte nach Melville dazu führen, dass ein Mönch die Regeln
und Gewohnheiten freiwillig und aus einer tiefen inneren Überzeugung befolgte.2109
Das Prinzip der Freiwilligkeit schloss damit aber keineswegs aus, dass normative
Texte buchstabengetreu befolgt wurden. Verinnerlichung und Überzeugung wa-
ren somit das Erfolgsrezept für die correctio eines Klosters. Mangelte es an ihnen,
konnte die Befolgung der normativen Texte nur durch Zwang aufrechterhalten wer-
den, was zudem oft nur von kurzer Dauer und selten von Erfolg gekrönt war.
Diese institutionellen Mechanismen klösterlicher »Reform« wurden in der For-
schung vor allem im Umkreis Melvilles intensiv für die im 12. Jahrhundert auf-
kommenden Orden untersucht. Das aus der Verinnerlichung resultierende Prinzip
der Freiwilligkeit wurde dabei als ein Spezifikum dieses »neuen« Mönchtums ver-
standen, das sich gerade in der Zeit um 1100 deutlich vom sogenannten »traditio-
nellen« Mönchtum abgrenzte.2110
Eine derartige Gegenüberstellung ist für die vier hier untersuchten Klöster al-
lerdings nicht durchweg hilfreich. Die Verinnerlichung monastischer Ideale ist ei-
nes der zentralen Themen in den behandelten Texten. Galbert von Marchiennes
thematisiert eben dies am Beispiel Bruder Fulchards, der im Laufe seines Lebens
lernte, die klösterlichen Ideale zu verinnerlichen, was letztlich die frommsten Ver-
haltensweisen zur Folge hatte. An keiner Stelle des Textes ist die Rede davon, dass
ein gottgefälliges Leben mit der strikten Befolgung von Regeln oder Gewohnheiten
einhergehe. Das Beispiel Bruder Fulchards spiegelt die ideale Entwicklung eines
Mönchs: Den jungen Lesern im Kloster führte Galbert vor Augen, dass das Mönch-
sein kein statischer Zustand war, sondern ein stetiger Prozess des Lernens und der
Veränderung; den alten Lesern gab er zu verstehen, wie eine innere correctio auszu-
sehen habe - und dass es für eine Umkehr nie zu spät sei. Bruder Fulchards Prozess
der Verinnerlichung basiert dennoch nicht vollkommen auf dem Prinzip der Frei-
willigkeit, da für ihn die Angst vor weiteren Erkrankungen und der Strafe Gottes
handlungsleitend wurde.

2109 G. Melville, Die Welt, S. 165.
2110 G. Melville, Die Welt, S. 88-100.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften