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Einleitung
reiche andere Orden und Verbände. Die Gründe hierfür sind vielgestaltig: (1) Der
Zugriff auf ihre Lebensweise erschwert sich durch das offensichtliche Fehlen einer
ordensspezifischen Regel als basalem Identitätsgarant, wie ihn etwa die Franzis-
kaner oder Karmeliten besaßen. (2) Die Benediktsregel, nach der sie leben sollten,
war lediglich ein spiritueller Basistext, der im Einzelnen ohne bindende Funktion
blieb. Auch ihre Aussagekraft ist im Hinblick auf die Ergründung eines wilhelmi-
tischen propositum demnach gering. (3) Ebenfalls auffällig ist die völlige Absenz
von ordensspezifischen Gewohnheiten und Regelkommentaren, wie sie bei den
Benediktinern, Franziskanern, Karmeliten und anderen entstanden. (4) Aufgrund
der Sachlage, dass der schon mehrfach genannte, in den 1270-er Jahren promul-
gierte Liber Ordinarius zu 98 Prozent die zisterziensischen Ecclesiastica Officia
und kaum wilhelmitisches Eigengut wiedergibt, ist selbst er nur bedingt geeignet,
um die Spezifika der Wilhelmiten herauszuarbeiten.82 Da einzig der bislang un-
veröffentlichte Prolog dieses Liber einige kursorische Einblicke erlaubt, ist er der
vorliegenden Edition ergänzend beigegeben. (5) Auch finden sich keinerlei Kom-
mentare zu den Statuten, wie sie bei den Dominikanern begegnen.
Was nach diesen fünf Punkten für eine Analyse der wilhelmitischen Lebens-
welt bleibt, sind darum zuallererst die bislang völlig unedierten Bestimmungen
der Generalkapitel als zentralem Organ des Ordens.
Das statutarische Geflecht der Wilhelmiten aber ist ausgesprochen kompliziert.
Wie schon ausgeführt, weisen die erhaltenen Handschriften mitunter titelgleichen
Statuten (durch Hinzufügungen, Auslassungen, Änderungen) andere Inhalte zu,
tragen inhaltsgleiche Beschlüsse differente oder gar keine Titel, haben Statuten
eine andere Reihung, sind sie unterschiedlichen Jahren bzw. gar nicht zeitlich
zugeordnet oder gelten sie in einigen Handschriften als Provinz-, in anderen als
Generalkapitelsbeschlüsse.83 Dies mag zum einen der ebenfalls bereits benannten
Tatsache geschuldet sein, dass die hier überlieferten Statuten allesamt Dokumen-
tationen späterer Zeit waren, die nun in zum Teil anderen Kontexten begegnen.
Am deutlichsten ,sammelten‘ die Schreiber der Handschriften G sowie M2 und
noch mehr Johannes de Monte, der Schreiber der Handschrift C, welche zahlrei-
che Privilegien, Urkunden, Konventslisten, den Liber Ordinarius und so viele
Provinzial- und Generalstatuten enthält wie keine andere Sammlung. Dennoch
82 Zum Liber Ordinarius vgl. oben, S. 30-33 und die Übersichtstabelle, unten im Anhang, S. 378.
Zu nennen wäre in dieser Hinsicht noch die Handschrift Bl. Hier ist ein veränderter Liber
Ordinarius überliefert. Nicht alle Kapitel des obligatorischen zweiten Teils sind vorhanden,
stattdessen bietet der erste weitaus mehr Heiligenfeste als in allen anderen Handschriften. Vgl.
Bl = Pans, Bibliotheque Nationale, Ms. 10583, fol. lr-117v.
83 Siehe die Konkordanztabelle, unten im Anhang, S. 386.
Einleitung
reiche andere Orden und Verbände. Die Gründe hierfür sind vielgestaltig: (1) Der
Zugriff auf ihre Lebensweise erschwert sich durch das offensichtliche Fehlen einer
ordensspezifischen Regel als basalem Identitätsgarant, wie ihn etwa die Franzis-
kaner oder Karmeliten besaßen. (2) Die Benediktsregel, nach der sie leben sollten,
war lediglich ein spiritueller Basistext, der im Einzelnen ohne bindende Funktion
blieb. Auch ihre Aussagekraft ist im Hinblick auf die Ergründung eines wilhelmi-
tischen propositum demnach gering. (3) Ebenfalls auffällig ist die völlige Absenz
von ordensspezifischen Gewohnheiten und Regelkommentaren, wie sie bei den
Benediktinern, Franziskanern, Karmeliten und anderen entstanden. (4) Aufgrund
der Sachlage, dass der schon mehrfach genannte, in den 1270-er Jahren promul-
gierte Liber Ordinarius zu 98 Prozent die zisterziensischen Ecclesiastica Officia
und kaum wilhelmitisches Eigengut wiedergibt, ist selbst er nur bedingt geeignet,
um die Spezifika der Wilhelmiten herauszuarbeiten.82 Da einzig der bislang un-
veröffentlichte Prolog dieses Liber einige kursorische Einblicke erlaubt, ist er der
vorliegenden Edition ergänzend beigegeben. (5) Auch finden sich keinerlei Kom-
mentare zu den Statuten, wie sie bei den Dominikanern begegnen.
Was nach diesen fünf Punkten für eine Analyse der wilhelmitischen Lebens-
welt bleibt, sind darum zuallererst die bislang völlig unedierten Bestimmungen
der Generalkapitel als zentralem Organ des Ordens.
Das statutarische Geflecht der Wilhelmiten aber ist ausgesprochen kompliziert.
Wie schon ausgeführt, weisen die erhaltenen Handschriften mitunter titelgleichen
Statuten (durch Hinzufügungen, Auslassungen, Änderungen) andere Inhalte zu,
tragen inhaltsgleiche Beschlüsse differente oder gar keine Titel, haben Statuten
eine andere Reihung, sind sie unterschiedlichen Jahren bzw. gar nicht zeitlich
zugeordnet oder gelten sie in einigen Handschriften als Provinz-, in anderen als
Generalkapitelsbeschlüsse.83 Dies mag zum einen der ebenfalls bereits benannten
Tatsache geschuldet sein, dass die hier überlieferten Statuten allesamt Dokumen-
tationen späterer Zeit waren, die nun in zum Teil anderen Kontexten begegnen.
Am deutlichsten ,sammelten‘ die Schreiber der Handschriften G sowie M2 und
noch mehr Johannes de Monte, der Schreiber der Handschrift C, welche zahlrei-
che Privilegien, Urkunden, Konventslisten, den Liber Ordinarius und so viele
Provinzial- und Generalstatuten enthält wie keine andere Sammlung. Dennoch
82 Zum Liber Ordinarius vgl. oben, S. 30-33 und die Übersichtstabelle, unten im Anhang, S. 378.
Zu nennen wäre in dieser Hinsicht noch die Handschrift Bl. Hier ist ein veränderter Liber
Ordinarius überliefert. Nicht alle Kapitel des obligatorischen zweiten Teils sind vorhanden,
stattdessen bietet der erste weitaus mehr Heiligenfeste als in allen anderen Handschriften. Vgl.
Bl = Pans, Bibliotheque Nationale, Ms. 10583, fol. lr-117v.
83 Siehe die Konkordanztabelle, unten im Anhang, S. 386.