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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0086
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Franziskus als Stifter franziskanischer Identität im 13. und 14. Jahrhundert 1 85

Kampf um die Identität des Ordens, der sich am Bild des Franziskus entzündete
und der im Rahmen einer dynamischen organisatorischen Entwicklung der Ge-
meinschaft und der Erweiterung ihrer Aufgaben für die Kirche, das Papsttum,
für große Teile der städtischen Gesellschaft und mit der Tätigkeit von Minoriten
an Fürstenhöfen an Schärfe zunahm, bis durch die Eingriffe Clemens' V. und
Johannes' XXII. versucht wurde, die mit großer Leidenschaft geführte Ausein-
andersetzung zu beenden.
Die offizielle Vita des Thomas von Celano, verfasst auf Anregung Papst Gre-
gors IX., der nach Grado Merlo zusammen mit Bruder Elias die Erinnerung an
den „Poverello" formte, wurde nur etwa ein Jahrzehnt lang als ausreichend an-
gesehen.31 Hier war noch gesagt worden, die Perfektion der Lebensführung des
„Poverello" sei den Zeitgenossen so offensichtlich gewesen, dass eine Beweisnot
seiner Heiligkeit durch Wunder gar nicht notwendig gewesen sei - wenn auch
der gleiche Autor bereits eine Liste der ihm bekannten miracula zusammen-
stellt.32 Mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand zum Zeitpunkt seines Todes
war diese Einstellung nicht mehr haltbar, denn die Materialsammlung war lü-
ckenhaft und neue Wunder geschahen am Grab des Heiligen. Es galt, Erinne-
rungen, darunter auch miracula, zu dokumentieren, zu sammeln, aber auch zu
kontrollieren. Für Thomas von Celano in der Vita prima war Franziskus der
novus evangelista, der miles Christi,33 doch dieser eher bescheidene Vergleich
wurde bald übertroffen. In den Jahrzehnten bis zur offiziellen Geschichtsschrei-
bung Bonaventuras gab es mehrere Initiativen zu umfangreichen Materialsamm-
lungen und es setzte ein regelrechter Wettstreit um die Erinnerung an Francesco
Bernardone ein, in dessen Folge die Person durch immer neue Interpretationen

31 De Fr. Thoma Celanensi eiusque Vita I S. Francisci, in: Legendae S. Francisci Assisiensis
saeculis XIII et XIV conscriptiae (Analecta Franciscana 10), Quaracchi 1926-1941, S. 3-115.
Hier benutzte Ausgabe: Fontes Franciscani, hg. von Menestö/Brufani (wie Anm. 17),
S. 275-424. La leggenda di un santo di nome Francesco: Tommaso da Celano e la Vita beati
Francisci. Istituto teologico San Bernardino Verona, Settimana di Studi Francescani 31 agos-
to - 6 settembre 1997, hg. von Roberto PACiocco/Felice Accrocca (Tau 9), Mailand 1999,
S. 17; Guido Merlo, Nel nome di san Francesco. Storia dei frati Minori e del francescanesi-
mo sino agli inizi del XVI secolo, Padua 2003, S. 53.

32 I Celano, Fontes Franciscani, hg. von Menestö/Brufani (wie Anm. 17), S. 337-345, S. 400,
S. 403. Roberto Paciocco, Da Francesco ai 'catalogi sanctorum'. Livelli istituzionali e im-
magini agiografiche nell'Ordine francescano (secoli XIII-XIV) (Collectio Assisiensis 20),
Assisi 1990, S. 44-45. Dagegen meint da Campagnola, Franziskus sei bereits von Thomas von
Celano als alter Christus charakterisiert worden: Stanislao da Campagnola, Introduzione,
in: Fontes Franciscani, hg. von Menestö/Brufani (wie Anm. 17), S. 259-272, hier S. 262-
263. Vauchez, La saintete (wie Anm. 24), S. 133 gibt zu bedenken, dass man im Orden Wun-
dern sogar skeptisch gegenübergestanden haben könnte.

33 I Celano, Fontes Franciscani, hg. von Menestö/Brufani (wie Anm. 17), S. 284, S. 365.
 
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