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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0085
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84 I Jens Röhrkasten

zu Auseinandersetzungen über die Nutzung von Gebäuden, in Assisi oder Bo-
logna, in denen bereits Spannungen vorweg genommen wurden, die sich an
Fragen von frühen Formen franziskanischer Architektur oder am rechtlichen
Status von Liegenschaften entzünden sollten.28 Durch sein Charisma und seine
Originalität in der Kommunikation einfacher Botschaften war es ihm immer
wieder gelungen, diese Differenzen zu überbrücken. Nach seinem Tod stand der
Orden vor der Frage, wie Charisma und gelebtes Ideal der persönlich präsenten
Autorität konserviert werden sollten, damit nicht nur die Dynamik der Ent-
wicklung, sondern auch der Zusammenhalt der Ordensgemeinschaft garantiert
werden konnte.29 Denjenigen Brüdern, die ihre Aufgabe in der Predigt und Seel-
sorge sahen und die vor allem in städtischen Zentren handeln wollten, standen
diejenigen Fratres gegenüber, die sich der von Franziskus praktizierten Vita
apostolica verpflichtet sahen. Erstere benötigten eine Infrastruktur, die ihre
Ausbildung gewährleisten konnte, die als Voraussetzung für Predigt und
Beichtabnahme galt, Mitglieder der anderen Gruppe lebten oft als Eremiten in
den bescheidensten Unterkünften von ihrer Hände Arbeit und versuchten, den
vom Ordensgründer vorgelebten Prinzipien kompromisslos treu zu bleiben.30
Dabei entstand das Problem, die authentische Lebensweise zu identifizieren und
eine Form der apostolischen Armut zu finden, die den Ansprüchen der Regel
genügte. Die Beantwortung dieser Fragen gehörte für Jahrzehnte zu den zentra-
len Aufgaben der Ordensleitung und die Versuche, dieser Aufgabe gerecht zu
werden, reflektieren die Entwicklung des Ordens im 13. und 14. Jahrhundert. Sie
erstreckten sich auch auf die Erinnerungen an den „Poverello", an seine Lehren
und Handlungsweisen, die es zu interpretieren galt. Allerdings waren es nicht
nur die jeweils tonangebenden Kreise des Ordens, die das Bild des Franziskus
bestimmen wollten, sondern aufgrund persönlicher Erinnerungen und einer
mündlichen Tradition entstanden auch andere Texte. Es entwickelte sich ein

28 Hilarin Felder, Geschichte der wissenschaftlichen Studien im Franziskanerorden bis um
die Mitte des 13. Jahrhunderts, Freiburg/Br.1904, S. 6; Gratien de Paris, Histoire de la Fon-
dation et de l'Evolution de l'Ordre des Freres Mineurs au XIIIe siecle, Paris 1928, S. 90-91;
Dieter Berg, Armut und Wissenschaft. Beiträge zur Geschichte des Studienwesens der Bet-
telorden im 13. Jahrhundert, Düsseldorf 1977, S. 44; Bert Roest, A History of Franciscan
Education (c. 1210-1517) (Education and Society in the Middle Ages and the Renaissance 2),
Leiden 2000, S. 2-3, S. 6, S. 13-21.

29 Cristina Andenna, Le cardinal protecteur dans les ordres mendiants: une personne
d'autorite? in: Les personnes d'autorite et milieu regulier. Des origines de la vie reguliere au
XVIIIe siecle, hg. von Jean-Francois CoTTiER/Daniel-Odon HuREL/Benoit-Michel Tock,
St Etienne 2012, S. 289-313, hier S. 304, argumentiert, Franziskus habe durch seine Bitte um
Bestellung eines Kardinalprotektors einen Prozess der Decharismatisierung eingeleitet.

30 Carlo Delcorno, La predicazione volgare in Italia (sec. XIII-XIV). Teoria, produzione,
ricezione, in: Revue Mabillon 65 (1993), S. 83-107, hier S. 87-89.
 
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