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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0152
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Kann weltflüchtige Askese
innovative Kräfte auslösen?
Drei Thesen
Axel Michaels

Ram Krishna Das ist ein freundlicher und ernsthafter Mann. In einem Zimmer
voller bunter Götterbilder hat er sich eingerichtet, ganz in der Nähe des Pashu-
patinatha-Tempels bei Kathmandu, der Hauptstadt Nepals. Er hat das Gelübde
abgelegt, sich niemals die Haare zu schneiden und sich nur von reiner Kuhmilch
zu ernähren. „The only milkdrinker" hat er in holprigem Englisch auf ein klei-
nes Schild über seiner Tür gekritzelt (Abb. 3).
Ram Krishna lebt keusch, bindungslos, fast ohne Hab und Gut. Er möchte
nur an Gott Rama denken, ihm Lieder singen und zu ihm beten: „Ich bin ein
Diener Ramas. Ich möchte seine Gnade erfahren und mich seinem Willen und
Spiel mit der Welt überlassen. Täglich rufe ich seinen Namen 1008 Mal."
Ram Krishna arbeitet nicht, ist keinem zu Diensten, will niemand bekehren
oder belehren. Seinen Mitmenschen will er nicht nützlich sein. Und doch erwar-
tet er, dass diese ihn ernähren. Man stelle sich vor, Ram Krishna wäre ein Deut-
scher, Franzose oder Schweizer. Dann wäre er wohl kein geehrter Mann wie in
Indien und Nepal. In seinen langen, verfilzten Haaren bewunderten ihn viel-
leicht einige Indienschwärmer. Für die Mehrheit wäre er aber ein belächelter
Außenseiter, allenfalls geduldet, bisweilen als Faulenzer und Schmarotzer be-
schimpft. Im Westen müsste sich Ram Krishna durch Arbeit, Dienst am Nächs-
ten, Predigt oder Meditationskurse nützlich erweisen, um eine vergleichbare
Anerkennung zu bekommen. Bloße Kontemplation wäre für viele nun doch des
Eigensinns zu viel. Die Helden des Westens sind Menschen der Tat.
Welche innovative Kraft kann also von einem Menschen wie Ram Krishna
Das ausgehen? Kann weltflüchtige Askese überhaupt innovative Kräfte aus-
lösen? Das ist mein Thema, das ich mit den Stichworten Sünde, Bünde und
Pfründe (mehr des Reimes als der semantischen Passgenauigkeit wegen) umrei-
ßen möchte - Stichwörter, die ich aber erst am Schluss zu drei Thesen bündele.1

1 Der Artikel beruht auf weitgehend unveröffentlichten Feldforschungsnotizen, die ich wäh-
rend des Shivaratri-Festes bei hinduistischen Asketen am nepalischen Pashupatinatha-Tempel
 
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