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Ritualbeschreibungen und Gebete I

zusammengetragen hatten, läßt sich kaum mehr als eine Handvoll
weiterer Namburbi-Tafeln benennen, die von anderen Fundorten
in Assur kommen. 24

Lediglich Tontafelamulette mit Gebeten, die typisch für
die Löserituale sind, fanden sich an etlichen Fundstellen, recht
gleichmäßig über das Stadtgebiet von Assur verstreut. 25 Diese

24 Zu den mittelassyrischen Manuskripten siehe oben. Aus der von O. Pedersen
in: Archives and Libraries, Part II, 29-34 beschriebenen Tafelbibliothek
einer Schreiberfamilie (N2) kommt zum einen die als Namburbi bezeichnete
Beschreibung eines Rituals, das helfen sollte, das Florieren einer
Gastwirtschaft zu befördern (VAT 9728 = KAR 144). Zu dieser Tafel in
Amulettform, die aus inhaltlichen Gründen nicht wirklich zu den Löseritualen
passen will, siehe S. M. Maul, B aF 18,179. Zu der gleichen Bibliothek gehört
auch ein Textvertreter der 35. Tafel der Omenserie summa älu (A 441+
= KAR 376 und KAR 377 = KAL 1, Text Nr. 21), in dem sich auch kurze, mit
dem Rubrum »Namburbi« überschriebene Handlungsanweisungen finden,
wie ein Unheil femgehalten werden soll, das sich durch das Erscheinen von
Ameisen in einem Haus ankündigt (dazu siehe S. M. Maul, BaF 18,349-353).
Aus der von O. Pedersen, ebd., 34-41 beschriebenen Tafelbibliothek eines
Sängers (N3) wurde ein Textvertreter eines sehr umfangreichen Löserituals
bekannt, durch das Übel abgewehrt werden soll, welches sich in „vom
Himmel fallenden Feuer” (izisubbü) ankündigt (VAT 9669 [KAR 101]
(+) VAT 10064 (+) VAT 13068 [LKA 124] = S. M. Maul, BaF 18, 128ff„
Texte G, D und J).

Aus der von O. Pedersen, ebd., 78-81 beschriebenen Tafelsammlung aus
dem sog. Prinzenpalast (N5) wurde eine Tafel mit einem Löseritual bekannt
(VAT 9305 = KAR 20), das sich gegen den Pilzbefall und dessen Folgen
wendet. Hierzu siehe oben Anm. 23.

Schließlich kennen wir aus einer weiteren von O. Pedersen, ebd., 81-82
beschriebenen kleinen Tafelsammlung aus einem Privathaus (N6) eine Tafel,
die ein Löseritual enthält, welches Unheil verhindern sollte, das sich einem
Menschen anzeigt, wenn er im Traum ein Gewitter erlebt (VAT 13679+;
Publikation durch Anmar Fadhil vorgesehen).

Nur insgesamt 15 neuassyrische Tafelbmchstücke mit Beschreibungen von
Löseritualen können keinem Fundort mehr zugewiesen werden. Allein 8
davon werdenindiesemBand vorgelegt (dieTexteNr. 1-3,11,12,15,17und
67). Es ist nicht auszuschließen, daß manche dieser Stücke aus der großen
Beschwörerbibliothek (N4) stammen.

25 Zu diesen Amuletten siehe S. M. Maul, BaF 18, 175-190 sowie ferner
ders. in: P. Miglus (Hrsg.), Ausgrabungen in Assur: Wohnquartiere in der
Weststadt. Teil I (im Dmck) mit einer Edition der Tontafelamulette, die
die Ausgrabungen in Assur in den Jahren 2000 und 2001 erbrachten. Die
Fundzusammenhänge der meisten in Assur entdeckten Namburbi-Amulette
lassen sich rekonstmieren:

a. VAT 15568, ein noch unbeschriebener Amulettrohling (siehe S. M. Maul,
BaF 18, 180), wurde in einem großen Gebäude südwestlich des Sin-
Schamasch-Tempels gefünden, aus dem auch ein umfangreiches Archiv
mit Verwaltungstexten der mittelassyrischen Zeit stammt (M7).

b. Aus dem sog. Haus des Beschwömngspriesters (N4) kommen zwei noch
unveröffentlichte Exemplare.

c. In den Ruinen des neuassyrischen Prinzenpalastes in Assur (N5)
fanden sich vier Exemplare. Zwei davon wurden für einen gewissen
Bäbu-ahu-iddina (KAR 35 und KAR 120), ein weiteres für einen Herrn
namens Bulälu angefertigt (unten Text Nr. 22). In dem vierten (KAR 36 +
KAR 261) blieb der Name der Person, die sich durch das Amulett Schutz
versprach, nicht erhalten.

d. Aus dem Haus von Tempelgoldschmieden, in dem ein umfangreiches,
in das 7. Jh. v. Chr. zu datierendes Tontafelarchiv entdeckt wurde
(N33; siehe dazu: K. Radner, StAT 1 und L. Jakob-Rost, K. Radner,
V. Donbaz, WVDOG 98), kommen wohl vier Namburbi-Amulette.
Drei davon stammen aus regulären Grabungen: LKA 128 (geschrieben
für einen gewissen Nabü-zem-iddina), LKA 129 und WVDOG 98,
Text Nr. 61 (= K. Radner, StAT 1, Text Nr. 61). Das vierte wird in der
Sch0yen-SammI ung in Oslo unter der Signatur MS 3187 aufbewahrt.
Es ist derzeit unter folgender Internetadresse einzusehen: http://www.
schoyencollection.com/religionsExtinct.html#23.3. In Schriftduktus und
Erscheinungsbild unterscheidet sich dieses Stück nicht von den drei zuvor
genannten Amuletten. Da MS 3187 wie LKA 128 auf den Namen des

Dokumente zählen freilich - anders als die Namburbi-Tafeln
selbst - nicht zu der gelehrten »Fachliteratur«. Vielmehr sind sie
ein Zeugnis für das breite Wirkungsfeld der »Beschwörer« von
Assur. Die zweifelsohne von diesen Gelehrten auf Bestellung
geschriebenen Tontafelamulette wurden nämlich in der Regel
mit dem Namen eines Hausherm versehen, der sich von üblen
V orzeichen bedroht sah, und sollten - im T orbereich aufgehängt -
dem Hausbesitzer und seinen Angehörigen dauerhaften Schutz
vor den Folgen unheilvoller Erscheinungen bieten.

Unter den mehr als 400 Tontafeln und Tontafelbruchstücken,
die wir - allen oben beschriebenen Schwierigkeiten zum Trotz -
Tafelsammlungen zuschreiben können, die im Assur-Tempel
aufbewahrt wurden, findet sich nicht einmal das Bruchstück
einer Tafel mit der Beschreibung eines Löserituals. Dies
erscheint umso bemerkenswerter, als im 8. Jh. v. Chr. in Kalchu,
das zu jener Zeit Assur längst den Rang als Königsresidenz
abgelaufen hatte, im Tempel des Stadtgottes Nabü eine ganze
Reihe von Löseritualen bereitgehalten wurde. 26 Man sollte dies
allerdings nicht überinterpretieren. Es mag zwar sein, daß eine
Sammlung von Namburbi-Tafeln, die - wie wir gesehen haben -
in mittelassyrischer Zeit wohl auch im Assur-Tempel existierte,
mit dem Umzug des Hofes von Assur in die neue Residenz
gelangte. Aber solche Überlegungen bleiben nichts weiter als
Spekulation. Im 7. Jh. v. Chr. jedenfalls haben die in Assur
tätigen Beschwörer und Heiler, obgleich sie wie Kisir-Assur
den Titel »Beschwörer des Assur-Tempels« (masmas bit Assur)
trugen, 27 die Tafelsammlungen, die sie aufbauten, in ihrem
eigenen Wohnhaus aufbewahrt und nicht im Tempel. 28

Es gilt freilich zu bedenken, daß auch Kisir-Assur und den
anderen »Beschwörern des Assur-Tempels« offenbar jederzeit
die Möglichkeit offenstand, bei Bedarf auch kurzfristig ihren
Tafelbestand zu erweitern, indem sie Anweisungen für die
Durchführung von Löseritualen, von denen sie keine eigenen
Abschriften besaßen, „eilig kopierten von hölzernen, mit Wachs
beschichteten Tafeln ("‘Tö 3u) aus Assur“. 29 Wo diese Tafeln

Nabü-zeru-iddina ausgestellt ist, darf als sicher gelten, daß dieses Amulett
ursprünglich aus dem Haus der Tempelgoldschmiede kommt.

e. Gemeinsam mit den Resten des Archivs, welches der assyrische
Handelsuntemehmer DürT-Assur im späten 7. Jh. v. Chr. angelegt hatte,
fanden sich auch Bmchstücke von mindestens zwei Namburbi-Amuletten.
Sie werden von S. M. Maul in: P. Miglus, Ausgrabungen in Assur.
Wohnquartiere in der Weststadt. Teil I veröffentlicht (im Dmck). Zu
diesen Fragmenten siehe vorerst S. M. Maul, MDOG 132, 76, P. Miglus,
ebd., 27 (Photo) und E. Frahm, MDOG 134,52.

f. Für folgende Namburbi-Amulette lassen sich keine Fundstellen mehr
ermitteln: KAL 2, Text Nr. 40; VAT 11841 (unten Text Nr. 23) sowie
A 399 (Oberflächenfund).

26 Siehe D. J. Wiseman, J. A. Black, Literary Texts from the Temple of Nabü,
CTN4, Oxford 1996, TexteNr. 127 (= BaF 18,401ff. Text D); Nr. 131 (// zu
BaF 18, 133:74-83 = /-/.vn/j/j/Y-Namburbi); Nr. 134 (BaF 18, 368ff. Text E
und 421ff. Text F); Nr. 144; Nr. 149 (bzgl. Traum); Nr. 151 (?); Nr. 152;
Nr. 156+160+161+162 (bzgl. Bmnnen); Nr. 157 und Nr. 163 (dazu siehe
BaF 18,217 mit Anm. 450).

27 Dazu siehe S. M. Maul in: Assur-Forschungen, 203 und 208ff.

28 Freilich gibt es Hinweise darauf, daß man im (noch nicht lokalisierten)
Gula-Tempel von Assur über eine umfangreiche Tontafelbibliothek mit
heilkundlichen Traktaten verfügte (siehe S. M. Maul in: Assur-Forschungen,
213f.).

29 Auf der Tafel KAR 72 (VAT 8262), Rs. 20, vermerkte Kisir-Nabü, der
Neffe Kisir-Assurs, die vorliegende Sammlung von Löseritualen sei ina püt
le^i assuri hantis nasha. Eine sehr ähnliche Bemerkung findet sich auch in
der Abschrift eines Löserituals gegen Unheil, welches sich am Bett eines
Menschen in Gestalt eines Vorzeichens angekündigt hatte (siehe S. M. Maul,
 
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