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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0132
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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Die Phantasie des Geistes, als nur subjektive chaotisch, bewältigt als objektive die
Realität unseres Daseins, die Endlosigkeit des Denkens und seine eigene Fülle dadurch,
daß sie alles zu einem jeweilig Geschlossenen werden läßt. Ihre umgreifende Wirklich-
keit eignet verstehend an, gliedert ein, aber scheidet das jeweils Fremde aus.
So verwirklicht der Geist als Ganzheit eine je von ihm durchdrungene Welt im
Kunstwerk und in der Dichtung (geschlossen gewordenes Unendliches), im Beruf, im
Bau des Staates, in den Wissenschaften (offen im unendlichen Fortschritt).
Das Ganze heißt Idee. Geschlossen ist sie die eigentliche Idee des Geistes (die He-
gelsche Idee). Offen ist sie die Vernunftidee (die Kan tische Idee). Dort ist sie als unend-
liche, aber geschlossene Vollendung und Vollendbarkeit. Hier ist sie die unendliche
Aufgabe, die, im vorwegnehmenden Gegenwärtigsein ihres Gehalts, unabschließbar
ins Offene drängt.
6. Existenz: Das daseiende heben, das »ich denke« des Bewußtseins überhaupt, die
schaffende Phantasie des Geistes gehören, obgleich auseinander unableitbar, zusam-
men. Geist ist nicht ohne denkendes Bewußtsein überhaupt und ohne lebendiges Da-
sein möglich. Nur das Dasein | scheint - im heben der Tiere, nicht im Menschen - ohne 28
die beiden anderen Umgreifenden dessen, was wir sind, allein sein zu können. Denn
die objektive Phantasie des kebendigen in seinen Gestaltungen ist nur ein Analogon
der Phantasie des bewußten Geistes.
Mit diesen drei Ursprüngen sind wir noch nicht das, was wir sein können. Es über-
fällt uns ein Ungenügen:
Dasein ist das zerrinnende heben aus nichts in nichts. Nach dem Jubel des sich ei-
nen Augenblick vollendenden hebens, nach dem Schmerz der Hinfälligkeit überfällt
es die hangeweile der Wiederholung und das erschreckende Wissen, als Dasein schon
den Keim des Verderbens in sich zu haben.
Bewußtsein überhaupt denkt endlos auch das Gleichgültige. Nach der Befriedigung
an zwingender Richtigkeit ergreift es die Öde des bloß Richtigen.
Geist kann in dem Zauber seiner Schöpfungen die Herrlichkeit von Seifenblasen
sehen. Die Fülle der in der Phantasie sich abschließenden Harmonie kann den Bruch
aller Vollendung an der Realität erfahren. Der Reichtum der sich häufenden Ganz-
heiten wird schal, die Freiheit des schönen Spiels zur Spielerei.
Wir sind mit den drei Umgreifenden noch nicht wir selbst, bleiben ohne Führung,
gewinnen keinen Boden. Oder sind sie alles? Bin ich am Ende nirgends ich selbst? Ist
die Grenze der drei (Dasein, Bewußtsein überhaupt, Geist) nur die Leere des Nichts?
Falle ich in diesen Abgrund? Bin ich nur der rücksichtslose Eigenwille meines leben-
digen Daseins, nur ein vertretbarer Punkt richtigen Denkens, nur das Blühen eines
Geistes in schöner Täuschung?
Der Grund des Selbstseins, die Verborgenheit, aus der ich mir entgegenkomme, das,
als was ich frei mich selbst hervorbringe, indem ich mir geschenkt werde, ist in jenen
 
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