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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0131
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

Wollen wir uns seiner, es umkreisend, vergewissern, so sagen wir etwa: Dasein als
Leben in einer Welt ist ein Ganzes aus Innenwelt und Umwelt (von Uexküll),123 - je re-
lativ in sich als Dasein geschlossen, aber ungeschlossen, sofern es nur durch anderes
und in Bezug auf anderes Dasein möglich ist, - es entsteht und vergeht, hat Anfang
und Ende in einer objektiven Zeit, während es selber seine eigene Zeit und seinen ei-
genen Raum hat und, in beiden erfüllt und in beiden bewegt, nicht darüber hinaus-
gelangt, - es ist Drang, Trieb, Begehren, will sein Glück, erlebt Augenblicke der Voll-
kommenheit und den tötenden Schmerz, - es steht in der Unruhe des Kämpfens, sich
zu behaupten, sich zu erweitern und jenes ungreifbare Glück zu erreichen, - es ist je
einmaliges, einzelnes Dasein, in das es, zum Bewußtsein erwacht, hineinblickt wie in
eine Unendlichkeit unergründlichen Dunkels, - es könnte auch nicht da sein und wird
sich des Geheimnisses des Zufalls, daß es als dieses da ist, bewußt.
Wir beziehen das Dasein unwillkürlich auf ein Verengtes, den lebendigen Leib, die
Innerlichkeit des Erlebens, die Subjektivität des Wahrnehmens eines Außen durch ein
Innen, das Finden und Hervorbringen einer Umwelt. Aber wir sollen das Staunen nicht
verlieren vor dem »ich bin da«. Unsere Besinnung soll das Geheimnis weder verschlei-
ern noch bewegungslos stehen lassen.
27 | 5. Geist sind wir als das Umgreifende, als das wir durch Phantasie Gebilde entwer-
fen und in Werken die Gestalten einer sinnerfüllten Welt verwirklichen. Er ist unter-
schieden von der rationalen Berechenbarkeit und dem Machen von Werkzeugen und
Maschinen durch das Bewußtsein überhaupt. Im Gegensatz zum Dunkel des Irratio-
nalen des Daseins ist er das Offenbarwerdenlassen in der Bewegung des Verstehens und
Verstandenwerdens.
Das rationale Verstehen trifft den Sinn des vom Bewußtsein überhaupt Gedachten.
Das psychologische Verstehen trifft die Daseinsmotive. Das geistige Verstehen trifft die
Sinngehalte, die im schöpferischen Hervorbringen gefunden werden als ein entgegen-
kommendes Gültiges.
Die Gehalte werden mitteilbar, indem der Geist sich des gegenständlich Wißbaren,
des sinnlich Anschaubaren, des zweckhaft Getanen als der ihn aufnehmenden Me-
dien bedient. Er wird darin (Sinnlichkeit, Gegenstand, Zweck übergreifend) schauend
seiner Gehalte inne.
Das Subjekt des Geistes ist die Phantasie. Sie spielt in ihren Schöpfungen. Sie schafft
die Bedeutungen. Sie macht greifbar in Symbolen. Sie gibt allem, was sein kann, Spra-
che. Das Subjekt des Geistes ist nicht das »ich denke« des Bewußtseins überhaupt, son-
dern das jeweils unvertretbare Individuum, das sich in der persönlichen Gestalt von
einem unpersönlichen Objektiven ergriffen weiß.
Das Objekt des Geistes ist das im Schaffen nicht eigentlich Geschaffene, sondern
Gefundene. Diese seine objektive Form ist die Macht eines zusammenhaltenden Gan-
zen, wirksam durch Ordnung, Grenzsetzung und Maß.
 
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