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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0095
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Die Idee der Universität [1923]

die Trennung nicht scharf, weil Unterricht immer ein Mittel der Erziehung ist, durch
Auswahl des Inhalts und durch die damit von selbst gegebene Disziplinierung, und
weil ohne Erziehung kein Unterricht Erfolg hätte. Erziehung ist das Übergreifende,
Ganze.
Von Erziehung und Unterricht im engeren Sinne spricht man nur bei der bewuß-
ten Erziehung der Kindheit und Jugend gegenüber. Wie aber alle Tradition bedingt ist
durch die besondere Gestalt des gesellschaftlichen und kulturellen Organismus, so ist
auch die bewußte Erziehung immerfort abhängig von ihm. Die Erziehung wechselt in
Inhalt und Form mit den Gestalten, die das geschichtliche Leben der Völker annimmt.
So viele Formen Staat und Gesellschaft angenommen haben, so viele Arten der Erzie-
hung hat es auch gegeben. Die Erziehungseinheit ist durch eine gesellschaftliche Ein-
heit gegeben, z.B. die Kirche, den Stand, die Nation. Die soziologische Bedingtheit al-
ler Erziehung tritt um so mehr hervor, je mehr man in der Geschichte der Erziehung
ihre Formen vergleicht. Sie ist nicht etwas allgemein Menschliches, sondern die Weise,
wie die besonderen gesellschaftlichen Mechanismen durch die Generationen hin-
19 durch sich selbst erhalten. | Darum wandelt sich mit allen gesellschaftlichen Umwäl-
zungen auch die Erziehung und wenden sich oft Erneuerungsversuche zuerst den päd-
agogischen Fragen zu. Darum wird auch das Nachdenken über Sinn und Mittel der
Erziehung ganz von selbst bis zu Staat und Gesellschaft geführt, und große Utopien,
wie Platos Staat,38 sehen staatliche und Erziehungsorganisationen zu einer großen
Einheit, Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft, zusammenfallen. Die Erzie-
hung prägt den Einzelnen zum Gliede des Ganzen, und das Ganze ist Mittel und Me-
dium der Erziehung des Einzelnen. Wenn man das Ganze will, so richtet man sein Auge
auf die Erziehung als das wichtigste Erhaltungsmittel.
Sehen wir uns einige Seiten der Erziehung in bezug auf ihre historische Wandelbar-
keit an. Die Inhalte des Unterrichts werden gewählt nach den Bedürfnissen der jewei-
ligen Gesellschaft: theologisches Wissen beim Priesterunterricht, sprachliche Kennt-
nisse und Fertigkeiten bei humanistischen, literarischen Bedürfnissen, die mythischen
Inhalte der Dichter beim griechischen Kaloskagathos.14 Heute sind soziologische, so-
zialökonomische, technische, naturwissenschaftliche und geographische Kenntnisse
betont wichtig. Die Erziehung als Zucht und Prägung wechselt mit den Bildungside-
alen. Die Schulinstitutionen sind selbst ein Abbild der soziologischen Struktur; es gab
Standesschulen, Ritterakademien, Privatunterricht der Aristokraten und Patrizier. Alle
Demokratie verlangt gemeinsame Erziehung, weil nichts die Menschen so sehr gleich
macht als die gleiche Erziehung.
Sehen wir nun von der soziologischen und historischen Bedingtheit ab und suchen
wir psychologische Grundformen der Erziehung auf, so zeigen folgende drei Typen die
äußersten konstruierbaren Möglichkeiten:
1. Scholastische Erziehung:39 Es besteht eine fixierte Tradition. Die Erziehung be-
schränkt sich auf das bloße »tradere«.40 Der Lehrer reproduziert nur, ist nicht selbst le-
 
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