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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0262
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Die Idee der Universität [1946]

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gentliche Geistigkeit, die hier Verwirklichung finden soll. Diese Substanz ist immer in
Gefahr, verlorenzugehen. Der Kampf zwischen dem philosophischen Geiste der Wis-
senschaft und den wechselnden Anforderungen der Gesellschaft führt einmal zu Kon-
kretisierungen der Idee von geschichtlicher Einmaligkeit, dann wieder zum Unterlie-
gen des Geistes. Daher wechseln in der Entwicklung der Universität Zeiten der Öde
und Zeiten des Blühens. Die Universität verliert sich in der Befriedigung der an sie her-
antretenden Forderungen, so in der Verschulung, mit der sie dem Willen der Durch-
schnittsmasse entgegenkommt. - Wechselnd ist auch die Geltung, die die Universi-
tät in der Gesellschaft hat. Einen Einfluß hatten die deutschen Universitäten auf den
Geist der Nation in der ersten Hälfte und noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihre
Leistungen nicht nur imponierten, sondern auch die geistige Haltung mancher Pro-
fessoren, aus der ihre Wissenschaft und ihr Leben kamen, und in der die Nation sich
selbst erkannte. Von der moralischen Tat der Göttinger Sieben,104 die ihre Existenz
für Wahrhaftigkeit und Eidtreue opferten, fiel ein Glanz auf alle Universitätsprofes-
soren. Die an der Universität geschaffene Philosophie von Kant bis Hegel prägte eine
Zeitlang die gesamte Bildung und gab den akademischen Berufen überall Schwung.
Arzt und Lehrer, Beamter und Pfarrer waren sich des Sinns ihres Tuns gewiß und sahen
ihr Leben in einer umfassenden Weltanschauung. Die Geltung der Universitäten hat
seitdem gewaltig abgenommen, zum Teil, weil überhaupt alle Geltungen geistiger Her-
kunft schwanden, zum Teil, weil sie selbst die hohe Geistigkeit nicht mehr zeigten,
und weil sie trotz zahlreicher fachwissenschaftlicher Entdeckungen doch in der Welt-
anschauung | nicht mehr führend, nicht mehr Ausdruck der Bewegungen der Zeit wa- 113
ren, und schließlich auch, weil sie dem Staat sich so sehr ergeben hatten, daß eine weit-
hin sichtbare sittliche Haltung unter den Professoren verloren war. Denn für die
verehrungswürdigen Männer einsamen, unbestechlichen Wahrheitsforschens hatte
die Menge kein Interesse.
3. Der Sinn der staatlichen Verwaltung
Die Universität ist eine sich selbst verwaltende Korporation - eine Körperschaft öffent-
lichen Rechtes -, aber sie untersteht zugleich dem Willen des Staats, durch den sie und
in dessen Schutz sie ihr Dasein hat. Dadurch hat sie ein rechtliches Doppelantlitz. Statt
einer eindeutigen Lösung besteht eine Spannung. Es ist unmöglich, daß die Universi-
tät schlechthin selbständig, ein Staat im Staate, wird. Es ist jedoch möglich, daß die
Universität zur Staatsanstalt herabgedrückt und damit ihres Wesens und ihres Eigen-
lebens beraubt wird.
In der Tat ist fast jederzeit eine Spannung, oft ein Kampf zwischen Staat und Uni-
versität. In diesem Kampf hat der Staat ohne weiteres die Übermacht. Die Universität
ist auf ihn angewiesen. Er kann sie vernichten. Der Kampf kann daher immer nur ein
geistiger sein. Die Initiative muß in dem durch die Universität zur Erscheinung kom-
 
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