Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0279
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
204

Volk und Universität

verkommen durch Trägheit und Zerstreuung und dann aus den akademischen Beru-
fen auszuscheiden.79
Würde man Dozenten und Studenten an die Leine einer Schuldisziplin legen, so
wäre das Leben der Ideen, das Schaffen und Forschen am Ende. Es erwüchsen keine in
ihrer Denkungsart verläßlichen, kritisch prüfenden und besonnen in jeder Situation
die Wahrheit suchenden Männer. Freiheit ist die Lebensluft der Universität.
Die Universität scheint eine dem Volke fremde Welt, ein interessantes Treiben absei-
tiger Menschen - nein, sie ist durch den Volkswillen selber da, der will, daß irgendwo
die restlose Bemühung um Wahrheit in allen Dingen stattfinde. Die Universität scheint
für das Volk überflüssig und dem Volk unverständlich; sie ist weder das eine noch das
andere.
Sie ist nicht überflüssig. Die Menschen der Universität, aus dem Volk erwachsen,
dienen dann dem Volk durch Erforschung und Lehre der Wahrheit, selten unmittel-
bar durch handgreifliche Leistungen für die Not des Tages, durchweg mittelbar durch
Vermehrung und durch Steigerung der Erkenntnis und durch wissenschaftliche Erzie-
55 hung einer dafür befähigten Jugend. Diese soll | wirken in den Berufen des Arztes, des
Pfarrers, des Lehrers, des Journalisten, des Richters, des Verwaltungsbeamten und in
den anderen Arbeitssphären, welche wissenschaftliche Erziehung voraussetzen. Die
Universität ist daher eine Sache des ganzen Volkes, nicht Sache der Parteien, der Kir-
chen, der Klassen, oder vielmehr: sie ist deren gemeinsame Sache.
Die Universität ist auch nicht unverständlich. Wenn die Wege im einzelnen nur
dem je Sachverständigen verständlich sind, so ist doch die Erscheinung des Gan-
zen allen verständlich. Das Grundwissen gipfelt in einer Einfachheit, die das Be-
wußtsein eines Zeitalters mitbestimmt. Das Dasein der Universität bedeutet ein Tun
in Vertretung für alle, weil es der Wille eines seiner selbst bewußten Volkes ist, daß
mit den Mitteln der Erkenntnisse die Wahrheit zum Äußersten getrieben werde. Das
Vertrauen, daß dies an der Universität geschieht, wird zu einer Befriedigung für alle,
die an unzählbaren Punkten ihres Lebens das Dasein der Universität spüren, zumin-
dest in der Berührung mit der Wirksamkeit der aus der Universitätsbildung genähr-
ten Berufe.
Heute, wo wir uns als Volk fast verloren haben, wo wir in den Trümmern von Staat
und Wirtschaft als Volk gleichsam noch nicht wieder da sind, überall mit vorläufigen
Ersatzbildungen für den Augenblick uns begnügen müssen, da kann auch die Univer-
sität einen Beitrag leisten zur Wiedererstehung unseres Selbstbewußtseins als Volk. Die
Universität wird eine echte Hochschule nur sein, wenn das Volk in ihrer Idee das ei-
gene Sehnen wiedererkennt.
Dazu bedarf es der Aufgeschlossenheit der Universität für die gegenwärtige Wirk-
lichkeit. Was heute ist, soll gewußt werden. Das Volk fordert von uns, daß wir nicht
neben der Wirklichkeit hinleben. Mit Recht.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften