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Heimweh und Verbrechen
Immerhin kommen Ereignisse solcher Art auch heute noch vor, wie die in wenigen
2 Jahren beobachteten zwei Fälle aus der Heidelberger Klinik beweisen. | Der erste wurde
von Wilmanns schon veröffentlicht,8 der zweite wird in dieser Schrift seine Stelle fin-
den, neben einigen anderen, die nur nach den Akten wiedergegeben werden können.
Für ähnliche zukünftige Fälle das Vergleichsmaterial möglichst vollständig an die
Hand zu geben und die Gesichtspunkte zu erörtern, die bei ihrer Auffassung in Frage
kommen, ist der Hauptzweck dieser Arbeit.
Herrn Dr. Wilmanns spreche ich für die Anregung und Unterstützung bei der
Arbeit meinen Dank aus. Er hat mich auf einen großen Teil der Eiteratur aufmerksam
gemacht und mir sein Gutachten über Apollonia S.9 überlassen. Insbesondere aber
stammt die Auffassung, daß es zu Verbrechen führende Heimwehverstimmungen gibt,
auch ohne daß die Täterinnen intellektuell oder moralisch schwachsinnig sind, von
ihm.
Herrn Prof. Nissl10 danke ich, daß er mir die Erlaubnis gab, an seiner Klinik zu arbei-
ten11 und ihre Hilfsmittel zu benutzen und Herrn Dr. Longard12 für gütige Überlas-
sung zweier Gutachten, die in der folgenden Arbeit wiedergegeben sind.
Geschichte der Heimwehliteratur
Das Wort »Heimweh«'13 ist in dem schweizerischen Dialekt des 17. Jahrhunderts ent-
standen, zum ersten Male durch die ärztliche Fachliteratur in der Schriftsprache ge-
braucht, aber trotzdem Schweizer Dialekt geblieben und erst in der Zeit der Romantik
in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch übergegangen.14 Nicht nur durch diese
Wortentstehung ist die Geschichte der Lehre vom Heimweh im Anfang eng verbun-
den mit der allgemeinen Literaturgeschichte. Neben den medizinischen Arbeiten ent-
standen im 18. Jahrhundert, den sentimentalen Neigungen der Zeit entgegenkom-
mend, auch eine Menge populärer Beschreibungen der Heimwehkrankheit, die
ihrerseits auf erstere zurückwirkten, sodaß im weiteren Verlauf eine Mischung poeti-
scher Schriftstellerei mit medizinischer Beobachtung und Kritik entstand, die zwar hi-
storisch interessant, für unseren speziellen wissenschaftlichen Zweck aber recht uner-
freulich erscheint.15
Im 17. Jahrhundert wurde die Heimwehkrankheit als Nostalgie16 entdeckt. Bald
wurde sie ein beliebtes Thema, das zahllose Arbeiten, insbesondere Dissertationen,
hervorrief.17 In der Krankheitslehre gewann sie eine anscheinend enorme Verbreitung.
Überall wird sie als schweres, oft tödliches Leiden erwähnt. Selbst Auenbrugger, der
Entdecker der Perkussion, gibt für die Nostalgie einen besonderen Befund an.18 In vie-
len allgemein-medizinischen Lehrbüchern - psychiatrische gab es damals noch
nicht19 - fand sie ihren Platz, als noch keine forensische Beobachtung vorlag.
Vgl. Kluge (Literaturverzeichnis).
Heimweh und Verbrechen
Immerhin kommen Ereignisse solcher Art auch heute noch vor, wie die in wenigen
2 Jahren beobachteten zwei Fälle aus der Heidelberger Klinik beweisen. | Der erste wurde
von Wilmanns schon veröffentlicht,8 der zweite wird in dieser Schrift seine Stelle fin-
den, neben einigen anderen, die nur nach den Akten wiedergegeben werden können.
Für ähnliche zukünftige Fälle das Vergleichsmaterial möglichst vollständig an die
Hand zu geben und die Gesichtspunkte zu erörtern, die bei ihrer Auffassung in Frage
kommen, ist der Hauptzweck dieser Arbeit.
Herrn Dr. Wilmanns spreche ich für die Anregung und Unterstützung bei der
Arbeit meinen Dank aus. Er hat mich auf einen großen Teil der Eiteratur aufmerksam
gemacht und mir sein Gutachten über Apollonia S.9 überlassen. Insbesondere aber
stammt die Auffassung, daß es zu Verbrechen führende Heimwehverstimmungen gibt,
auch ohne daß die Täterinnen intellektuell oder moralisch schwachsinnig sind, von
ihm.
Herrn Prof. Nissl10 danke ich, daß er mir die Erlaubnis gab, an seiner Klinik zu arbei-
ten11 und ihre Hilfsmittel zu benutzen und Herrn Dr. Longard12 für gütige Überlas-
sung zweier Gutachten, die in der folgenden Arbeit wiedergegeben sind.
Geschichte der Heimwehliteratur
Das Wort »Heimweh«'13 ist in dem schweizerischen Dialekt des 17. Jahrhunderts ent-
standen, zum ersten Male durch die ärztliche Fachliteratur in der Schriftsprache ge-
braucht, aber trotzdem Schweizer Dialekt geblieben und erst in der Zeit der Romantik
in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch übergegangen.14 Nicht nur durch diese
Wortentstehung ist die Geschichte der Lehre vom Heimweh im Anfang eng verbun-
den mit der allgemeinen Literaturgeschichte. Neben den medizinischen Arbeiten ent-
standen im 18. Jahrhundert, den sentimentalen Neigungen der Zeit entgegenkom-
mend, auch eine Menge populärer Beschreibungen der Heimwehkrankheit, die
ihrerseits auf erstere zurückwirkten, sodaß im weiteren Verlauf eine Mischung poeti-
scher Schriftstellerei mit medizinischer Beobachtung und Kritik entstand, die zwar hi-
storisch interessant, für unseren speziellen wissenschaftlichen Zweck aber recht uner-
freulich erscheint.15
Im 17. Jahrhundert wurde die Heimwehkrankheit als Nostalgie16 entdeckt. Bald
wurde sie ein beliebtes Thema, das zahllose Arbeiten, insbesondere Dissertationen,
hervorrief.17 In der Krankheitslehre gewann sie eine anscheinend enorme Verbreitung.
Überall wird sie als schweres, oft tödliches Leiden erwähnt. Selbst Auenbrugger, der
Entdecker der Perkussion, gibt für die Nostalgie einen besonderen Befund an.18 In vie-
len allgemein-medizinischen Lehrbüchern - psychiatrische gab es damals noch
nicht19 - fand sie ihren Platz, als noch keine forensische Beobachtung vorlag.
Vgl. Kluge (Literaturverzeichnis).