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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0060
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Heimweh und Verbrechen

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Es erschienen immer wieder auch selbständige Arbeiten (Pensees d’un allemand sur
la nostalgie 1754,61 Hueber 1755),62 und namhafte Ärzte gehen ausführlich auf diese
Krankheit ein. Der berühmte Auenbrugger findet in seinem »Inventum novum etc.«
(1761) eine Veränderung des Perkussionsschalles bei Heimwehkranken, einen »sonitus
obscurus«63 auf der einen Seite und bei ihrer Sektion konstant eine Verwachsung und
Vereiterung der Lungen. Vor einigen Jahren sei die Krankheit in der österreichischen
Armee sehr oft, jetzt seltener beobachtet, seitdem die Soldaten das Versprechen bekom-
men, nach Ablauf ihrer Dienstzeit in ihre Heimatstaaten zurückkehren zu können.
J. G. Zimmermann (i774)i64 betont, daß das Heimweh zwar von den Schweizern
sich allein zugeeignet würde, aber auch sonst an vielen Orten vorkäme. Es sei beob-
achtet bei burgundischen Soldaten, bei den Schotten sei es nichts Seltenes. Ganz
besonders häufig sei es bei den der Pressung widerstrebenden Soldaten in England.
Kaum in die Heimat zurückgelangt, würden sie mit Gewalt auf ein anderes Schiff
geschleppt und Tausende fänden den Tod an Nostalgie. Die plötzliche Rückkehr ins
Vaterland tue therapeutische Wunder. Zimmermann erzählt einen Fall, der später
noch manchmal wiederholt wird.
| »Ein aus Bern gebürtiger Student der Medizin in Göttingen geriet im Heimweh auf den 7
Gedanken, die größte Pulsader im Leibe solle ihm zerspringen. Darum getraute er sich fast gar
nicht mehr sein Zimmer zu verlassen. Am gleichen Tage jedoch, als er von seinem Vater zurück-
berufen wurde, hüpfte er ganz Göttingen im Triumphe durch, nahm von allen Bekannten
Abschied, und am dritten Tage bestieg er mit außerordentlicher Munterkeit den Winterkasten
in Kassel. Da er doch zween Tage vorher bei dem Anblick der kleinsten Treppe in Göttingen den
Atem aus dem Bauche zog. Später an einem anderen Orte ist er noch einmal an Nostalgie
erkrankt, nun ist er zu Hause munter und gesund«.65
Cartheuser (1771)66 hält Scheuchzers Erklärung durch Luftdruckänderung für
sehr einleuchtend, doch könne diese allein nicht ausreichen. Auch psychische Ein-
flüsse allein könnten die Nostalgie herbeiführen und heilen.
Schließlich hat 1783 der Göttinger Professor Blumenbach im Anschluß an eine
Schweizerreise längere Bemerkungen über das Heimweh gemacht.67 Er findet es ohne
mindeste Überlegung klar, daß es eine wahre Gemütskrankheit sei, die bloß in den
inneren Sinnen und nicht, wie der sonst verdiente Scheuchzer meinte, in mangeln-
der Bergluft ihren Grund habe. Einige Kantone und zwar die gebirgigsten werden nicht
von Heimweh befallen, z.B. Glarus. Am stärksten haben die Appenzeller, ein bloßes
Hirtenvolk, darunter zu leiden. Die Ursache der Nostalgie liegt in der allen Menschen
eingepflanzten Prädilektion für das dulce natale solum.68 Der empfindliche Kontrast
ist genügend, um erst Einsamkeit, Sehnsucht, Schwermut, schließlich Wahnsinn aus-
zulösen. Es entsteht rasch Appetitlosigkeit und Prostration, aber ebenso unglaublich
schnell ist die Erholung. Es scheint, als wenn in solchen Zuständen, wie überhaupt

Derselbe, der durch seine Werke über die Einsamkeit literarhistorisch bekannt ist.
 
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