Heimweh und Verbrechen
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Der Verlauf des Heimwehs ist ein sehr verschiedener. Er kann lang dauernd, gleich-
mäßig mit vorübergehenden Exazerbationen im Anschluß an unlustvolle Erlebnisse,
vielleicht auch an Erinnerungen der Heimat sich gestalten. Diese Exazerbationen kön-
nen auf der anderen Seite das allein Hervortretende werden, indem die anhaltende
Heimwehstimmung als leichte Traurigkeit ganz in den Hintergrund tritt, oder schließ-
lich auch ganz verschwindet. Dann haben wir Vorkommnisse, wie sie Koch beschreibt
(Psychopathische Minderwertigkeiten 1891).281 Er erwähnt zwei Fälle von angeborener
psychopathischer Disposition: »Ein i8jähriges Mädchen bricht bei Besuchen in der
Fremde wohl mal plötzlich in jähem Heimweh nach der Mutter in Tränen aus. - Ein
anderes Mädchen geriet bei Besuch der Mutter in einem plötzlichen überwältigendem
Heimwehanfall in die heftigste Aufregung und meinte, nicht mehr leben zu können,
wenn die Mutter ohne sie fortgehe. Doch schwand nach deren Fortgang der Zustand
schnell.«282 Das Heimweh kann ferner in dem Momente der Trennung auf treten oder
es kann sich langsam entwickeln. Es kann von selbst wieder schwinden, nach kurzer
oder langer Zeit. Es kann auch sehr lange dauern und bei jedem Ortswechsel von neuem
auftreten (z.B. Apoll.). Endlich kann es auch einen immer mehr endogenen periodi-
schen Verlauf nehmen, indem es zuweilen als lebhafte Verstimmung sich bemerklich
macht, ohne daß man grade eine Ursache finden könnte (Apoll, in der Klinik).
Bei jeder Verstimmung spielen äußere Einflüsse und endogene Momente eine Rolle.
Die Depressionen bilden eine lange Linie, in der auf der einen Seite erstere, auf der
anderen letztere allein in Betracht zu kommen scheinen. Dazwischen finden sich alle
Übergänge. Schematisch könnte man drei Etappen unterscheiden:
1. Mit dem Wechsel der äußeren Umstände tritt Heimweh als schwere Verstim-
mung auf. Mit Wegfall der Ursache tritt sofort Heilung ein.
2. Im selben Fall, wo die Depression durch den äußeren Anlaß entstand, dauert
sie doch nach Wegfall der Ursache an und nimmt eine eigene Entwicklung.
3. Es besteht überhaupt keine neue Ursache, sondern tritt eine durchaus endo-
gene Verstimmung auf, die sich nach außen als Heimweh projiziert.
Zwei und drei werden wir ohne weiteres zu den Psychosen rechnen. Für 2 verweise
ich auf den Fall Meyers im historischen Kapitel, für 3 mag kurz folgender Fall erwähnt
werden:
37 Jahre altes Fräulein,283 schon mehrere Male an einfacher Depression mit Angst erkrankt,
liegt mit einem neuen Anfall in der Klinik. Krankheitseinsichtig. Sie schreibt folgenden Brief:
»Lieber Vater! In Kürze teile ich dir mit, daß ich schrecklich Heimweh habe nach dir, E.
und S., kurzum die Sehnsucht nach Haus zu meinen Lieben ist so groß, daß ich es nicht
| vermag niederzuschreiben. Schreibt mir doch einige Zeilen, bitte, komme doch jemand,
mich zu besuchen, daß ich mich aussprechen kann, wie es mir ums Herz ist. Es sendet
dir...
Bitte bringt mir einige Zeitungen aus meiner lieben Heimat mit.«
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Der Verlauf des Heimwehs ist ein sehr verschiedener. Er kann lang dauernd, gleich-
mäßig mit vorübergehenden Exazerbationen im Anschluß an unlustvolle Erlebnisse,
vielleicht auch an Erinnerungen der Heimat sich gestalten. Diese Exazerbationen kön-
nen auf der anderen Seite das allein Hervortretende werden, indem die anhaltende
Heimwehstimmung als leichte Traurigkeit ganz in den Hintergrund tritt, oder schließ-
lich auch ganz verschwindet. Dann haben wir Vorkommnisse, wie sie Koch beschreibt
(Psychopathische Minderwertigkeiten 1891).281 Er erwähnt zwei Fälle von angeborener
psychopathischer Disposition: »Ein i8jähriges Mädchen bricht bei Besuchen in der
Fremde wohl mal plötzlich in jähem Heimweh nach der Mutter in Tränen aus. - Ein
anderes Mädchen geriet bei Besuch der Mutter in einem plötzlichen überwältigendem
Heimwehanfall in die heftigste Aufregung und meinte, nicht mehr leben zu können,
wenn die Mutter ohne sie fortgehe. Doch schwand nach deren Fortgang der Zustand
schnell.«282 Das Heimweh kann ferner in dem Momente der Trennung auf treten oder
es kann sich langsam entwickeln. Es kann von selbst wieder schwinden, nach kurzer
oder langer Zeit. Es kann auch sehr lange dauern und bei jedem Ortswechsel von neuem
auftreten (z.B. Apoll.). Endlich kann es auch einen immer mehr endogenen periodi-
schen Verlauf nehmen, indem es zuweilen als lebhafte Verstimmung sich bemerklich
macht, ohne daß man grade eine Ursache finden könnte (Apoll, in der Klinik).
Bei jeder Verstimmung spielen äußere Einflüsse und endogene Momente eine Rolle.
Die Depressionen bilden eine lange Linie, in der auf der einen Seite erstere, auf der
anderen letztere allein in Betracht zu kommen scheinen. Dazwischen finden sich alle
Übergänge. Schematisch könnte man drei Etappen unterscheiden:
1. Mit dem Wechsel der äußeren Umstände tritt Heimweh als schwere Verstim-
mung auf. Mit Wegfall der Ursache tritt sofort Heilung ein.
2. Im selben Fall, wo die Depression durch den äußeren Anlaß entstand, dauert
sie doch nach Wegfall der Ursache an und nimmt eine eigene Entwicklung.
3. Es besteht überhaupt keine neue Ursache, sondern tritt eine durchaus endo-
gene Verstimmung auf, die sich nach außen als Heimweh projiziert.
Zwei und drei werden wir ohne weiteres zu den Psychosen rechnen. Für 2 verweise
ich auf den Fall Meyers im historischen Kapitel, für 3 mag kurz folgender Fall erwähnt
werden:
37 Jahre altes Fräulein,283 schon mehrere Male an einfacher Depression mit Angst erkrankt,
liegt mit einem neuen Anfall in der Klinik. Krankheitseinsichtig. Sie schreibt folgenden Brief:
»Lieber Vater! In Kürze teile ich dir mit, daß ich schrecklich Heimweh habe nach dir, E.
und S., kurzum die Sehnsucht nach Haus zu meinen Lieben ist so groß, daß ich es nicht
| vermag niederzuschreiben. Schreibt mir doch einige Zeilen, bitte, komme doch jemand,
mich zu besuchen, daß ich mich aussprechen kann, wie es mir ums Herz ist. Es sendet
dir...
Bitte bringt mir einige Zeitungen aus meiner lieben Heimat mit.«
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