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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0151
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io8

Eifersuchtswahn

psychiatrischen Zeitschriften und Archiven aufgehäuft ist, hat man nun meist nicht
genug Material, wenn man sich theoretisch mit einer psychopathologischen Frage
86 beschäftigt oder | Parallelfälle zum Vergleich mit eigenen Beobachtungen sucht. Nicht
die Menge des Materials kann helfen. Das meiste ist leider zu kurz beobachtet oder
unzureichend mitgeteilt. Der einzelne Psychiater sieht meist seine Fälle nur kurze Zeit;
sie bleiben nicht in seiner Obhut, oder sein Leben reicht nicht aus zur Vollendung eige-
ner Beobachtung. Hier helfen uns die in den Archiven der Klinik niedergelegten alten
Krankengeschichten und ganz besonders - leider fast nur in Fällen, die mit Gerichten
zu tun bekamen - die Akten (Strafakten, Prozeßakten, Ehescheidungsakten, Entmün-
digungsakten, Personalakten usw.). Die Verwertung solchen Aktenmaterials geschah
zum erstenmal systematisch durch Wilmanns in seinem Buche über Landstreicher.301
Die Gewinnung ganzer Lebensläufe, von Kraepelin immer gefordert, ist seitdem eine
Grundlage empirisch-klinischer Forschung geworden.302 Wir brauchen nach dem jet-
zigen Stand unserer Anschauungen unbedingt Biographien, und soll das Material
nicht nur zur vorübergehenden Stütze eigener Thesen, sondern auch für andere
brauchbar sein, eine Mitteilung der Symptome in extenso, soweit man sie beobachten
und davon erfahren konnte. Es liegt auf der Hand, daß die Gewinnung guter Biogra-
phien nichts Alltägliches ist; in unzähligen Fällen bleiben wir auf allzu dürftige Anga-
ben beschränkt. Es liegt ferner auf der Hand, daß, wenn einmal eine solche Biographie
entsteht, sie die gewöhnliche Länge der Krankengeschichte übertreffen muß. Diese
Länge beruht aber naturgemäß auf ganz anderen Ursachen als die Länge solcher, die
der Bequemlichkeit oder einer gewissen »Pseudoexaktheit« wegen unmittelbar so, wie
sie zuerst geschrieben waren, abgedruckt werden. Für die Biographien in unserem
Sinne pflegen wir ein nicht unerheblich größeres Material zu besitzen, als das ist, wel-
ches wir veröffentlichen. Die Auswahl des möglicherweise Wesentlichen, Zusammen-
fassungen, geeignete Disponierung usw. machen eine Kompression möglich, und
bleibt dann immer noch eine erhebliche Länge, so erscheint uns das gerade als Vorzug
gegenüber den früher manchmal kurzen Veröffentlichungen, mit denen man nichts
anfangen kann. Wir hoffen darum auch, daß, selbst wenn alle Anschauungen sich
ändern, dieses Material doch seinen Wert behält. Der nicht seltenen Mißachtung län-
gerer Krankengeschichten gegenüber sehen wir in ihrer Ausarbeitung keinen Mangel
an Beherrschung des Stoffes oder gar eine gewisse Flachheit, sondern die Herbeischaf-
fung des für alle Überlegungen grundlegenden Materials. Kurze Krankengeschichten
erscheinen meist als ganz wertlos und überflüssig.
Was nun im Einzelfall die Disponierung des Stoffes angeht, so bringt es die immer
vorhandene Lückenhaftigkeit desselben, die verschiedene Art der Quellen u. dgl. mit
sich, daß die Verfolgung eines Prinzips der Einteilung für alle Fälle, und erst recht die
Erzielung einer glatten Lesbarkeit nicht möglich ist. Es wäre vielleicht in vieler Bezie-
hung das beste, nach Art der Historiker einen glatten lesbaren Text mit Anmerkungen,
die das Material enthalten, zu liefern; da aber Anmerkungen kaum gelesen werden und
 
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