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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0154
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Eifersuchtswahn

III

Leicht zu verwechseln mit der Erzählung von Visionen oder deliranten Erlebnissen
und oft leider schwer zu unterscheiden sind die Erinnerungsfälschungen,307 die als
Grundlage des Eifersuchtswahns eine große Bedeutung haben. Es werden nicht nur
gleichgültige Vorgänge aus früherer Zeit neu gedeutet und ausgeschmückt, sondern
es treten Erinnerungen an überhaupt in keinem einzelnen Zug einmal wirkliche Erleb-
nisse auf. Es fällt den Menschen »wie Schuppen von den Augen«.308 Sie haben gesehen,
wie die Frau sich zahllosen Männern hingab, haben den Mann aus dem Bett gejagt,
ihn neben sich gefühlt, während die | Frau sie betrog, sie haben durchs Schlüsselloch 89
die ungeheuerlichsten Szenen gesehen. Bei allen diesen Erinnerungsfälschungen ist
auffallend, daß trotz der entsetzlichen Lage, in der sich die Betreffenden befanden, sie
nie auch nur den geringsten Eingriff gemacht haben, wenn nicht auch ein solcher,
meist harmloser Art, in der Erinnerungsfälschung mit auftritt. Diese »Erinnerungshal-
luzinationen« treten auf bei Leuten, die sonst gar nicht suggestibel sind, ihre einmal
gefaßten Erlebnisse immer in gleicher Weise wiederbringen; während umgekehrt
immer neue Deutungen findende, durch Ausschmückung wirklicher Erlebnisse, die
sich in neuen Erzählungen immer ändern, sich ihre Grundlage verschaffende Eifer-
süchtige keine Erinnerungshalluzinationen zu haben brauchen.
Diesen ähnlich, aber von ihnen zu trennen sind eigentümliche Erlebnisse der Eifer-
süchtigen, die während und nach dem Schlaf auf treten. Beim Aufwachen haben sie eine
Ahnung, als ob nachts jemand da war; sie haben so fest geschlafen, sie werden wohl
ein Schlafpulver bekommen haben, damit die Frau ungestört sei; sie haben ein Gefühl,
als ob jemand nachts über ihr Gesicht gefahren wäre, ein Tuch darauf gelegt hätte, ja
sie haben gefühlt, daß jemand neben ihnen lag. Hier beginnt die Vermischung mit
wirklichen Erinnerungshalluzinationen.
Ich brauche wohl kaum zu betonen, daß uns die eigentliche Entstehung des Eifer-
suchtswahns natürlich ein völliges Rätsel ist. Daß sie in für uns absolut unverständli-
cher Weise auftritt, ist eben das »Verrückte«. Alle unsere »genetische«309 Betrachtung
konstatiert nur die phänomenologischen310 Beziehungen, die zwischen den Erlebnis-
sen bestehen.
Wechselnd ist schließlich das Verhalten der Eifersüchtigen. Die einen leben, fest über-
zeugt von der Wahrheit ihres Wahns, weiter ihrer Arbeit, beschäftigen sich mit gericht-
lichem Vorgehen, suchen aber keine weiteren Beobachtungen zu machen. Selbstbe-
wußt, entrüstet suchen sie ihr Recht herbeizuführen. Die anderen gehen auf die
raffinierteste Weise vor, um den Gatten zu »entlarven«. Es wird Sand gestreut, es wer-

ihr wäre. Es komme dann wohl ein Giftstrahl zu ihr. Die Liebe würde ihr fortgerissen zu der Frau, mit
der der Mann zu tun hat. - Sie glaube ferner, ihr Mann und die Nachbarsfrau seien von einem bö-
sen Geist bewohnt. Diesen Geist könnten sie in die Patientin hineinhexen. Sie habe es deutlich
gemerkt, daß die andern beiden immer gut aufgelegt seien, wenn es ihr traurig gehe. Dann sei der
Geist in ihr. Die beiden könnten mit dem Geist auch machen, was sie denken solle, usw. usw. -
Ähnlicher Fall bei Krafft-Ebing, Lehrbuch, 4. Aufl., S. 458, Beobacht. 44.
 
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