Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0155
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
112

Eifersuchtswahn

den Zeichen an Türen angebracht, man kommt unvermutet nach Hause usw. Frauen
laufen ihren Männern überall nach, warten vor dem Kontor, stellen Dienstmädchen
zur Beobachtung an. Beide Gruppen können gewalttätig werden auf Grund ihres
Wahns. Wieder andere ergeben sich in ihr Schicksal, sind deprimiert, zweifeln oft, ob
sie nicht nur dumme Gedanken haben, oder haben die Eifersucht als typische Zwangs-
vorstellung. Endlich gelingt es manchen, ihre Eifersucht völlig zu dissimulieren, wenn
sie gesehen haben, daß die Äußerung derselben nur zu peinlichen Konsequenzen
führt. Zufälligkeiten zeigen dann lange nachher, daß der Wahn unverändert fortbe-
stand.
Nach der Erfahrung der Autoren, die zum Teil statistisch belegt ist, hat der Eifer-
suchtswahn Beziehungen zu gewissen körperlichen Vorgängen, und zwar zum psychophy-
sischen System des Genitalapparats und zu bestimmten Lebensperioden der Frau. Was das
erstere angeht, legt von Krafft-Ebing dar, »daß der psychisch und physisch unbefrie-
digende Coitus bei reger Libido eine mächtige Quelle für die Entstehung des Eifer-
suchtswahns bei Alkoholisten sein dürfte«.311 Auch sonst wurden mehrfach Impotenz,
sei es psychopathische oder organische, z.B. bei beginnender Tabes,312 ferner anatomi-
sche Anomalien des Genitale bei Eifersüchtigen gefunden.
90 | Bei Frauen wird von Lactationseifersuchtswahn (Schüller; bei ihm waren 6 Fälle
von Eifersuchtswahn bei akuten Psychosen sämtlich »Lactationseifersuchtswahn«),
von menstruellem, klimakterischem, senilem Eifersuchtswahn gesprochen. Krafft-
Ebing schildert, wie das Bewußtsein schwindender Reize und das Gefühl verminderter
Neigung von seifen des Mannes eine mächtige Quelle klimakterischer Eifersucht sei.
Der Eifersuchtswahn kommt, wie wohl alle psychologisch so generell bezeichne-
ten Symptome, bei allen Arten von Psychosen und psychopathischen Persönlichkei-
ten vor. Durch die Häufigkeit seines Vorkommens wird er charakteristisch für bestimmte
Zustände. Doch scheint die besondere Art seiner Bildung ebenfalls kennzeichnend wer-
den zu können.
Seit Nasse bekannt,313 durch Krafft-Ebing in noch jetzt gültiger Schilderung
begründet ist der Eifersuchtswahn der Alkoholisten. Er fand ihn bei 80% der noch in
sexuellen Beziehungen stehenden Trinker und erklärte seinen Zusammenhang mit
körperlichen und seelischen Folgen des Alkoholmißbrauchs (Zunahme der Libido bei
abnehmender Potenz, Roheit, eheliche Zerwürfnisse, entstehende Abneigung der Frau
usw.). Auf diesen Grundlagen entsteht er meist kombinatorisch unter Benutzung zahl-
reicher an sich harmlosester Beobachtungen oder zuweilen auch gefördert durch illu-
sionäre und deliriöse Vorgänge. Er zeichnet sich bei der Verbindung mit der Gemüts-
roheit und der Demenz314 der Alkoholisten durch besondere Obszönität und
urteilsschwache Begründung aus. Er kann aus demselben Grunde - obgleich manch-
mal starr festgehalten - wechselndste Formen annehmen und des Systems entbehren.
Ferner ist er bei Entziehung des Alkohols der Heilung oder doch weitgehender Besse-
rung fähig, die nur durch interkurrentes Aufflackern des Wahns unterbrochen wird.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften