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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0193
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150 Eifersuchtswahn
rationale Zusammenhang erstreckte sich über ihr ganzes Leben von einem bestimm-
ten Zeitpunkte an. An diesem Zeitpunkt aber ist der Ursprung dieser rationalen Ein-
heit zurück weder rational noch einfühlbar (an ein Ereignis in »verständlicher« Weise
anschließend), noch aus der Persönlichkeit zu verstehen, sondern setzt ohne Zusam-
menhang mit früheren Erscheinungen als etwas Neues ein. Ob dieses Neue als »impul-
sive Wahnidee« (Friedmann),347 als Erinnerungsfälschung, als halluzinatorisches
Erlebnis oder als etwas noch anderes auftritt (vgl. unter 3, 4), ist dafür zunächst gleich-
gültig. Die im weiteren von den Kranken geäußerten Ideen sind bei Mohr alle rational
aus dem einen Ursprung zu verstehen, z.B. die Behauptung des Meineids, der Vertu-
schungsversuche usw., bei Klug sind einige dazu als einfühlbare Entwicklungen, z.B.
die Festhaltung der Närrischerklärung, aufzufassen. Bei beiden haben wir außerdem
möglicherweise ein neues Auftreten von komplizierten Erinnerungsfälschungen, die
auf eine dauernd bestehende »Veränderung« hinweisen. Aber auch das offene Festhal-
ten am Wahn trotz gelieferter Gegenbeweise und das fortgesetzte konsequente Verhal-
ten scheinen eine dauernde Veränderung zu bedeuten gegenüber den paranoid »ent-
wickelten« Psychopathen (Friedmanns milde Paranoia),348 die auf ein äußeres Ereignis
mit Wahnbildungen in verstehbarer Weise reagieren und diese Wahnbildungen, wenn
auch nicht korrigieren, doch vergessen.
Bei unseren beiden Fällen von einer Beziehung zu einem Gehirnprozeß zu reden,
würde zurzeit ganz sinnlos sein. Allein von der psychischen Seite her wissen wir etwas
über die Erscheinungen. Da aber etwas Neues, Heterogenes, ohne Anlaß und völlig
122 unverständlich auftritt, zu einer dauernden Veränderung | führt, also nicht heilt, wür-
den wir nach unserer Terminologie psychische Prozesse vor uns haben. In diesem Begriff
liegt natürlich nicht der des »Fortschreitens«, so wenig wie eine Dementia praecox dau-
ernd fortschreiten muß, sondern nur der des Vorgangs der unheilbaren Veränderung.
Auch ist damit natürlich nicht ausgeschlossen, daß der »psychische Prozeß« durch einen
physischen Gehirnprozeß im früheren Sinne verursacht ist, indem dieser nur einmal auf
die direkten Parallelprozesse eingewirkt, diese aber fernerhin in Ruhe gelassen hat. Nur
wissen wir von einem solchen physischen Prozeß, der außer dieser einmaligen Einwir-
kung auf die direkten Parallelprozesse sich gar nicht bemerkbar gemacht haben würde,
nichts. -
Wir haben früher unter 7 die Meinung ausgesprochen, daß die »Persönlichkeit«,
soweit sich das beurteilen läßt, intakt bleibe. Dies scheint im Widerspruch zu stehen mit
der Behauptung, es liege ein Prozeß vor. Dieser Schein beruht auf einem doppelten Sinn
des Wortes Persönlichkeit'. Diese kann theoretisch die Gesamtheit der konstanten
Motive mit samt allen dispositionellen Bewußtseinsinhalten, oder kann nur den empi-
rischen Habitus eines Menschen, sein gesamtes Gebaren in allen Dingen des Lebens mei-
nen. Sprechen wir von einer »Veränderung der Persönlichkeit«, meinen wir diese im letz-

Auf eine Analyse der Persönlichkeitsbegriffe überhaupt können wir hier nicht eingehen.
 
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