Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0196
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Eifersuchtswahn

153

Schülerinnen seien schlecht. Im Kurgarten schimpfte sie laut auf »Judenweiber«, während jüdi-
sche Damen am Tische saßen und behauptete, diese machten ihrem Mann Avancen. - Bei einer
größeren Gesellschaft von Herren und Damen war ihr Mann so unvorsichtig, aus dem Korb voll
Blumen zuerst der Frau eines Freundes einen Strauß anzubieten. Frau F. ergriff den Korb, schleu-
derte den Inhalt zu Boden und lief davon. - Während der Entwicklung dieses Verhältnisses stei-
gerte sich die alte Unverträglichkeit; über jede Kleinigkeit wurde sie kolossal aufgeregt. Sie prü-
gelte ihre 15 jährige Tochter. Der Mann meint, daß auch hierbei Eifersuchtsideen im Spiele seien.
Ihre Stimmung war ungleichmäßig. Sie konnte immer noch sehr lustig sein, aber nur, wenn sie
dazu gebracht wurde, nicht von selbst. Sie hatte auch Tage, an denen sie immer niedergeschla-
gen und traurig war. Oft wachte sie morgens deprimiert auf. Durch ein Wort war ihre Stimmung
leicht beeinflußbar. - Die Intelligenz litt keine Einbuße. Sie blieb immer eine gewissenhafte,
fleißige, saubere Hausfrau.
Wegen mehrfacher öffentlichen Skandale, aus denen gerichtliche Schwierigkeiten entstan-
den, wurde die Stellung des Mannes, der bis dahin alles geduldig ertragen hatte, derartig gefähr-
det, daß eine Verbringung der Frau in die Heidelberger Irrenklinik erfolgen mußte (25. Novem-
ber 1897 bis 4. Dezember 1897). Auf der Reise fand ihre Eifersucht gleich einen neuen
Anknüpfungspunkt: In Heidelberg stieg eine Dame mit aus; sie sagte, das sei ja merkwürdig, die
wäre ja vorhin mit ihnen auch eingestiegen, die habe sich der Mann wohl hierher bestellt. -
Unter der Vorspiegelung einer ärztlichen Untersuchung war sie zunächst hierher gebracht wor-
den; als sie erfuhr, daß sie hierbleiben solle, wurde sie sehr erregt. Sie wünschte zuerst ihren
Haushalt in Ordnung zu bringen und sich die nötigen Kleider und Wäsche zu holen. Mit dem
Versprechen, freiwillig wiederzukommen, wurde sie zunächst entlassen und stellte sich pünkt-
lich wieder ein. - Sie zeigte sich hier völlig orientiert, besonnen und geordnet. Sie war sehr hei-
terer Stimmung und außerordentlich geschwätzig. Es bestand eine deutliche Erregung, die sich
in beständiger Unruhe, in lebhaftem Mienenspiel, glänzenden Augen zeigte. Es fiel eine gewisse
Urteilsschwäche und Euphorie auf. Den gewährten freien Ausgang mißbrauchte sie nie. Ihre
Eifersuchtsideen stellte sie in Abrede. Sie hat sie hier dauernd dissimuliert.
Wegen der Beckengeschwulst kam sie in die Frauenklinik (inoperables Osteosarkom). Hier
hatte sie bald auf die Schwestern Verdacht; denn die putzten sich immer so heraus, wenn der
Mann zu Besuch käme. An diesen schrieb sie aus der Frauenklinik zwei charakteristische Briefe,
den ersten am 3. Januar 1898: Sie zeigt großes Interesse für die Einzelheiten des Haushaltes und
des Familienlebens, trifft Anordnungen, läßt sich über Psychologie der Dienstmädchen aus und
kommt schließlich mit einer »herzlichen Bitte«: Der Mann solle, wenn er in Mannheim sei, kei-
nen Abstecher nach dem Starnberger See machen, um jene Apothekersleute zu besuchen, die
er vor drei Jahren auf der Reise flüchtig kennen gelernt habe, denn »bei Gott, ich halte diese Frau
durchaus für keine weiblich stolzgesinnte Frau ..., denn sonst hätte sie damals nicht in so fami-
liärer, aufdringlicher Weise geschrieben, ich halte diese für eine ganz herzlose Person... Sei offen
und aufrichtig gegen mich und sage mir einmal offen, hat diese Person nicht in der verflosse-
nen Zeit an Dich öfters geschrieben? ... Ich bitte Dich auf Dein Gewissen hin, sei offen - sollte
dies vielleicht Dein Grund gewesen sein, weshalb Du dem Boten verboten hast, keinen Deiner
Briefe in die Wohnung zu tragen? ... Wenn mir solches in den Sinn kommt, so ist mir sehr weh-
mütig ums Herz und muß ich manches Mal weinen ... Sonst war ich bei Gott ohne Grund nie
mißtrauisch. - Ich bitte Dich daher eindringlich, sei wenigstens jetzt offen gegen mich, hast Du
seit jener Zeit mit der Frau im geheimen korrespondiert?« Acht Tage später schreibt sie: »Dieser
Brief könnte wohl der letzte sein, welchen ich an Dich | schreibe - weil meine Person sowohl,

125
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften