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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0199
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Eifersuchtswahn

Cyprian Knopf, Pfarrer, geboren I8451.350 - Eine Schwester litt an periodischer Manie (5 Anfälle),
sonst keine Heredität. Mit 20 Jahren Abiturium. Studierte Theologie. 1870 erstes theologisches
Examen. War dann Privatlehrer. 1872 zweites Examen. Dann Vikar, 1876 Pfarrer. - Schon als Kan-
didat fiel er als merkwürdig auf. Er erfuhr zu seiner Überraschung, daß die Tochter in dem Hause,
das ihn als Hauslehrer engagiert hatte, und für die er sich interessierte, schon mit einem Freunde
von ihm verlobt war. Dieser, der ihn seit der Schule kannte, schreibt über seine Reaktion darauf:
»Er ist eines Morgens ... gekommen und hat seine Stelle gekündigt. Er hat dabei allerhand kuri-
ose Reden geführt; dieselben später auch dem Pastor in F. und einem Vetter gegenüber wieder-
holt, so daß alle zu dem Urteil kamen, daß F. verrückt sein müsse. Aus Furcht vor ihm haben
dann die Damen im Haus sich nachts eingeschlossen. Das hat aber nicht lange gedauert, denn
K. mußte die Stelle bald verlassen.«
1878 verheiratete er sich mit einer Landwirtstochter. Diese starb 1882 durch Selbstmord. »K.
hat, wie später bekannt geworden, die erste Frau gerade so behandelt, wie die jetzige. Das war
aber ein stilles, bescheidenes Wesen, das selbst nie geklagt, sondern ihr Schicksal still getragen
hat. Sie ist eines Morgens ertrunken in einem Tümpel gefunden worden« (Angaben desselben
Freundes). Demgegenüber behauptete K. jetzt, daß er mit dieser Frau in glücklicher Ehe gelebt
habe.
1884 - zweite Ehe. Vor der Hochzeit zeigte er eine unbegründete Abneigung gegen den Oheim
der Braut, dem er einen anonymen Brief schrieb, er möge der Trauung fern bleiben. Dasselbe
127 Verhalten zeigte er gegenüber einem Schwager der ersten Frau, dem er schrieb, es | geschehe ein
Unglück, wenn er zur Trauung in die Kirche komme. - Gegen seine 18jährige Frau benahm er
sich vom Tage der Hochzeit an sehr auffällig. Beim Hochzeitsmahl benahm er sich sonderbar,
redete lateinisch, warf ein Glas unter den Tisch, daß es zertrümmerte. Er fuhr mit seiner Frau
nach X., verließ sie aber, anstatt sich ihr zu widmen, gleich nach der Ankunft, angeblich, um
Freunde zu besuchen. Als er zurückkehrte, äußerte er Mißtrauen gegen ihre Unberührtheit.
Nach einigen Tagen entlockte er ihr durch raffinierte Quälereien abenteuerliche »Geständnisse«
über ihr sexuelles Vorleben. Sie brachte, trotz des Bewußtseins, nichts begangen zu haben, Anga-
ben von begangenen Unsittlichkeiten ungeheuerlicher Art zu Papier: Sie habe sich mit
8-10 Bekannten geschlechtlich eingelassen, sei von einem bejahrten Superintendenten schwan-
ger geworden, das Kind sei von der Gattin desselben abgetrieben worden usw. - Die Frau geriet
immer mehr in Verzweiflung und wandte sich an ihre Eltern. Infolgedessen wurde auf Veran-
lassung des Landratsamtes ein ärztliches Gutachten abgegeben. K. hielt gegen alle Widerlegun-
gen an der Überzeugung von der Bescholtenheit seiner Frau vor der Ehe fest. Er zeigte noch wei-
tere Absonderlichkeiten: Seine Frau mußte einmal nachts mit ihm das Haus durchsuchen, weil
er fürchtete, es seien Fremde eingedrungen. - Einen älteren Amtsbruder, mit dem das Ehepaar
im Eisenbahnkupee fuhr, beschuldigte er, sich in unzüchtiger Absicht an K.s Frau gerieben zu
haben. - Wegen der Unkorrigierbarkeit der Ideen kam der Gutachter zum Schluß, K. leide an
Wahnsinn, eine Ansicht, die von einem Medizinalkollegium bestätigt wurde. Demgegenüber
verschaffte sich K. eine ganze Reihe von Gesundheitsattesten, von praktischen Ärzten, einem
Kreisphysikus, einem Universitätsprofessor und einem Assistenten. Ein ausführliches Gutach-

Ich bin Herrn Prof. Dannemann in Gießen und Herrn Dr. Wilmanns zu Dank verpflichtet, daß
sie mir erlaubten, ihre Gutachten zu benutzen. Außerdem wurde noch einiges Material aus den
Akten gewonnen. - Die forensischen Fragen habe ich in diesem wie in den anderen Fällen ver-
nachlässigt.
 
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