Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0202
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Eifersuchtswahn

159

ihn zur Ehescheidungsklage veranlaßte, unbegründet sei, nachdem er die Zeugenaussagen ange-
hört habe, jedoch machte er zu gleicher Zeit dem Arzte gegenüber Äußerungen, die auf das Fest-
halten an seinen Ideen hinwiesen. Diese Dissimulation, die er unter dem Eindrücke ungünstiger
Situation mit spitzfindiger Logik eine Zeitlang aufrecht erhielt, gab er in Heidelberg wieder auf.
In seinen vielfachen Schriftstücken, besonders in seiner »Würdigung des Gutachtens« zeigt er
eine große Gewandtheit in der logischen Bearbeitung der Situation zu seinen Gunsten. Liest man
die langen Ausführungen, könnte man einen Moment geneigt sein - und erst recht ein Laie -
ihm recht zu geben. Nur der Widerspruch mit anderen Aussagen von seiner Seite, die er völlig zu
vergessen imstande ist, klärte bei gründlicheren Überlegungen die Haltlosigkeit aller seiner
Urteile und Schlußfolgerungen auf. Diese auffällige Unzuverlässigkeit in dem Gebrauche der
Logik, die als ein geeignetes Werkzeug je nach Bedürfnis der Situation so oder so verwendet wird,
ein Zug, der bei vielen Psychopathen zu finden ist, ist bei K. besonders ausgeprägt. Diese allge-
meinen Bemerkungen dürften genügen, um uns der Veröffentlichung all der »Beweise« und
Spitzfindigkeiten K.s zu entziehen, die ein ganzes Buch füllen könnte. Es finden sich darin keine
neuen Symptome, keine eigenartigen Wahnideen, sondern nur jene scheinbare Logik, die das
Gegenteil ihres eigentlichen Zweckes erreicht.
Das Mißtrauen K.s gegen die Psychiater führte noch zu einer zweiten Begutachtung (1907),
deren Resultate klinisch mit der ersten völlig übereinstimmten und zum Teil schon verwertet
wurden. Die Persönlichkeit K.s wird von Wilmanns geschildert: »Sein äußeres Verhalten ist
natürlich und geordnet, der Lage entsprechend. Er beherrscht die äußeren Formen, ist gewandt
und liebenswürdig im Verkehr und stets bereit, sich in eine Unterhaltung einzulassen, die an
ihn gerichteten Fragen zu beantworten. Seine Stimmung war, während er sich bei uns in der Kli-
nik befand, im allgemeinen heiter; er betrachtete seine ganze Lage mit unverkennbarem Opti-
mismus. In seinen Schriften sowohl wie in seiner Unterhaltung tritt ein starkes Selbstgefühl her-
vor, das ihn besonders gern bei der Beurteilung seiner Leistungen und Fähigkeiten verweilen
läßt. An ihn gerichtete Fragen faßt er schnell und prompt auf und beantwortet sie schlagfertig
und geschickt. Bei längeren Gesprächen tritt mehr noch als in seinen Schriftstücken eine
gewisse Ablenkbarkeit hervor; er verliert leicht den Faden, haftet an belanglosen Nebendingen
und kommt erst auf allerlei Umwegen zum Ziele. Trotzdem bezeigt er eine zweifellos gewandte
Dialektik und besonders die Fähigkeit, die Unterhaltung über ihm peinliche Einzelheiten hin-
wegzuführen und ihr eine ihm willkommenere Richtung zu geben. Seine Merkfähigkeit ist unge-
stört. Sein Erinnerungsschatz ist sehr umfangreich; freilich oft auf Kosten seiner Treue und
Zuverlässigkeit. Während er sich vieler, an sich oft belangloser Einzelheiten zu erinnern ver-
mag, laufen nicht selten Erinnerungsfälschungen und Verfälschungen unter, besonders auf
Gebieten, die mit seinem »Ich« in irgendwelchen affektbetonten Beziehungen stehen. Bei der
guten Auffassung, dem lebhaften Temperament und Interesse und der guten Merkfähigkeit sind
seine Kenntnisse mannigfaltig und auf einzelnen Gebieten auch wohl tief. Er macht den Ein-
druck eines Mannes, der viel mit gutem Nutzen gesehen, gehört und gelesen hat. Über seine
Vermögensverhältnisse zeigte er sich vollkommen orientiert. Da ich bis zuletzt mit meiner
Ansicht über seinen Geisteszustand zurückhielt und seinen Ausführungen anscheinend gläu-
big folgte, bewahrte er mir gegenüber eine gewisse Offenheit und sprach sich über alle an ihn
gerichteten Fragen mit Freimut aus. Erst als ich ihm an einem der letzten Tage vor der Entlas-
sung eröffnete, daß auch ich ihn für geisteskrank halte, malte sich auf seinen Zügen eine gewisse
Enttäuschung und tiefes Mißtrauen.«
Schon nach einem Jahre starb Pfarrer K. nach einem operativen Eingriff.

129
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften