Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0205
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
IÖ2

Eifersuchtswahn

wertige Idee« und »Dementia praecox«, so daß sie gleichzeitig für denselben Fall ange-
wandt werden können, mindestens für unzweckmäßig. Wird jeder »Prozeß« im früher
definierten Sinne Dementia praecox genannt, sind allerdings die Fälle Mohr und Klug
Dementia praecox-Kranke?358 Beruhen umgekehrt alle Fälle von »circumscripter Auto-
psychose«359 (Wernicke) auf einer »überwertigen Idee«, so gehören Mohr und Klug
hierher.
132 | Die »überwertige Idee« ist aber im psychiatrischen Sprachgebrauch nichts weniger
als eindeutig. Der Schöpfer dieses Begriffes, Wernicke",360 setzt in seinem Grundriß
(2. Auflage, S. 78 und 141 ff.)361 auseinander, daß er unter Normalwertigkeit der Vorstel-
lungen »eine ganz bestimmte Abstufung von Erregbarkeitsverhältnissen«, welche
gewissermaßen »Rangunterschiede« unter den Vorstellungen bedingt, verstehe. Diese
beruhen erstens auf dem Gebiet362 des Affektes, der den Vorstellungsgruppen »anhaf-
tet« und zweitens auf der Häufigkeit der Benutzung dieser Vorstellungsgruppen. »Die
Verschiedenheit der Charaktere wird wesentlich durch die verschiedene Wertigkeit
derjenigen Vorstellungen bedingt, von denen ihr Handeln unter gegebenen Verhält-
nissen abhängt.« Soweit ist die Betrachtung klar. Nun fährt Wernicke mit einem enor-
men Gedankensprung fort: »Wir müssen schon in der Norm damit rechnen, daß sol-
che überwertigen Vorstellungen einer Korrektur durch entgegengesetzte Vorstellungen
schwer zugänglich sind, und je nachdem zur bedingungslosen Voraussetzung für das
Handeln werden.« Hier ist ohne weiteres als gleich betrachtet die affektive Bewertung
einer Vorstellung und die Realitätsbewertung. Bei der gleichen Vorstellung, deren Inhalt
objektiv und subjektiv real ist, kann die affektive Bewertung sehr verschieden sein. Die
Normal Wertigkeit in dieser Beziehung meint Wernicke in den ersten Sätzen. Aber bei
gleicher affektiver Bewertung kann der Inhalt einer Vorstellung unabhängig von obj ek-

i Eine schwierige Frage ist es, ob unsere Eifersüchtigen und die Eifersüchtigen der beginnenden De-
mentia praecox von Anfang an zu unterscheiden sind oder nicht. Anfangs war es meine Ansicht,
daß sie wohl nicht zu unterscheiden seien. Ich habe jedoch keinen Fall gefunden, den ich gese-
hen oder von dem ich gelesen hätte, bei dem diese Unterscheidung unmöglich gewesen wäre. Es
war bei Dementia praecox entweder von Anfang an eine weitere Symptomatologie vorhanden,
oder die Eifersucht war so unsystematisch, zerfahren usw., daß wohl eine Verwechslung mit Per-
sönlichkeitsentwicklungen, aber keine mit psychischen Prozessen möglich gewesen wäre. Eine
Krankengeschichte einer zweifellosen Dementia praecox, die zu Beginn über längere Zeit nur die
Symptomatologie unserer Fälle mit der Systematik, der Aktivität usw. hatte, ist bis jetzt nicht be-
kannt.
Nach Wernicke kann dessen »circumscripte Autopsychose« auf Grund einer »überwertigen
Idee«, mit der wir uns im folgenden beschäftigen, einen progressiven Verlauf nehmen. Sein Fall
(Lehrb. p. 454) war jedoch im ersten »sonst durchaus reinen Stadium« circumscripter Erotomanie
dadurch »auffällig«, daß er zahlreiche Stimmen in der »Herzenssprache« hörte. Also war das
Stadium durchaus nicht »rein«!
ü Weitere Publikationen zur überwertigen Idee: Friedmann, Beiträge zur Lehre von der Paranoia,
Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. 17; Pfeifer, Über das Krankheitsbild der »circumscripten Auto-
psychose« auf Grund einer überwertigen Idee, ebenda 19.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften