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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0206
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Eifersuchtswahn

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tiver Realität subjektiv als real angesehen werden. In diesem Fall spricht man, wenn
gewisse andere Bedingungen erfüllt sind, von Wahnideen. Nun besteht aber - und das
ist wohl als der Kernpunkt dessen, was Wernicke meint, anzusehen - eine Beziehung
zwischen Affektbetonung und Realitätsurteil. Am tiefsten ist diese Beziehung von Lipps*363
dargestellt, bei dem die starke Lust- und Unlustbetonung der Vorstellungen, das
Gewünschte oder Gefürchtete ihres Inhalts ein Faktor unter anderen ist, der die »Ener-
gie« einer Vorstellung steigert, damit ihre Loslösung von der Gegenvorstellung beför-
dert und der jeder Vorstellung nach Lipps ursprünglich eigenen Tendenz, für real
gehalten zu werden, Freiheit verschafft. Die völlige Loslösung mit Unmöglichkeit der
Korrektur kann nur auf Grund einer besonderen »Dissoziabilität« begriffen werden.
Näheres muß der dafür interessierte Leser bei Lipps nachsehen. - Kehren wir zu
Wernicke zurück, so würde dieser also solche falsche Realitätsurteile überwertige
Ideen nennen, die auf Grund der Affektbetonung jene Loslösung von der Gegenvor-
stellung erfahren haben. Dementsprechend verlangt er ein »Erlebnis« als Ursache. Nun
müssen wir bedenken, daß die Affektbetonung nie allein ausreicht, die Wahnidee zu
bilden, daß vielmehr dieser Mechanismus, den wir durch Hinweis auf Lipps bezeich-
neten und den Wernicke meint, gewöhnlich nicht zu Wahnideen führt im Sinne der
Unkorrigierbarkeit. Suchen wir nach einem Beispiel einer überwertigen Idee durch
Affektbetonung, so finden wir im täglichen Leben viele (hier aber immer der Kritik
zugänglich und korrigierbar). Ganz besonders geeignet für die Entstehung überwerti-
ger Ideen muß aber die Affektbetonung | in periodischen Zuständen sein. Ein Beispiel 133
einer Cyclothymie111 mit solchen Ideen konnten wir vor kurzem beobachten. Der beson-
dere Inhalt der Eifersucht, der mit unseren übrigen Fällen zusammentrifft, macht einen
Vergleich mit diesen besonders leicht.
Emil Hase, verheirateter Dekorationsmaler, 36 Jahre alt. Seine Mutter war immer »mißtrau-
isch, grüblerisch«. Von jeher leicht erregbarer Charakter. Immer ernst. Konnte nie recht herz-
lich lachen. Leicht zu rühren. Beim Lesen eines Zeitungsartikels über ein Unglück traten ihm
Tränen in die Augen. »Grüblerisch veranlagt.« Soweit zu erfahren, keine auffallenden Stim-
mungsschwankungen. Tüchtiger, intelligenter Mann. Anstrengende Tätigkeit.
Er selbst erzählt (Juni 1909): Im Januar 1909 ging er mit seiner Frau auf einen Maskenball, zu
dem er die Dekorationen gemalt hatte. Im Gedränge verlor er seine Frau aus den Augen. Eine
ihm bekannte Dame, die er fragte, meinte: »Die Frau ist mit zwei Herren im Restaurant« und
sagte scherzend: »Ich habe Ihre Frau beobachtet, die hat sich schön herumgedrückt.« Von die-
sem Momente an, meint Pat., datiere sein Mißtrauen. Er halte es für unbegründet, könne aber
des Mißtrauens bis jetzt nicht Herr werden. Immer dränge sich ihm die Idee auf. Er habe dabei
einen Druck auf der Brust, oft Angst bis in die Kehle hinauf. Das komme anfallsweise. Es sei ihm
da noch mehr eingefallen: Vor seiner Hochzeit habe ihn ein Herr angeredet: »Ich möchte Ihnen
gern etwas über ihre Frau sagen. Aber heiraten können Sie sie deswegen doch.« Durch einen
Zufall sei es nicht zu dieser Unterredung gekommen. Er fürchte, er habe von diesem Herrn etwas

Leitfaden der PsychoL, 1. Aufl. 1903. - Vom Fühlen, Wollen und Denken. 2. Aufl. 1907.
 
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