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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0263
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Die Methoden der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz

Gegenüber der Analyse der Triebgrundlagen, deren nähere Ausführung nicht hier-
her gehört, bewegt sich eine zweite Art der Analyse der Aktivitätsseite auf die Ziele,
Zwecke, Werte, die gesetzt werden. Zwar geschah dies nicht systematisch; aber bei den
Erörterungen über »moral insanity« spielen Überlegungen derart eine große Rolle.
Man betont z.B. die Inkonsequenz der heroischen Verbrecher, das ihren eigenen Wün-
schen Widersprechende ihrer Handlungen und benutzt das im Sinne der Beurteilung
als Schwachsinn. Um bei solchen Erörterungen über die Art seiner Begriffsbildung sich
nicht zu täuschen, muß man sich klar sein, daß man die eigentlich psychologische
Betrachtung verläßt und dazu übergeht, reale Zusammenhänge von Handlungen zu
messen an konsequent durchdachten Wertsystemen, ganz analog wie man das reale
geistige Inventar mißt an einem geforderten, gefällte Urteile an logischen Normen,
um aus der Nichtübereinstimmung den Defekt zu erschließen. Um methodisch die Art
dieses Vorgehens zu verstehen, können wir folgenden Vergleich machen: Wie wir
unser »Gegenstandsbewußtsein« zu einem widerspruchslosen System entwickelt den-
ken können, während selbst der intelligenteste Mensch nie über Widersprüche hin-
auskommt, und wie wir das Gegenstandsbewußtsein des einzelnen an einem relativ
willkürlichen Maßstab messen, den wir für den Durchschnitt seines Milieus halten,
wenn wir seine Intelligenz untersuchen, so können wir uns die Neigungen, Handlun-
gen, Ziele eines Menschen zu einem widerspruchslosen konsequenten System zusam-
mengeschlossen denken, dessen Verwirklichung sein Leben bildet, in dem alle Zwecke
184 in ein System unter einen letzten Zweck gegliedert sind usw. Wir können dann | sofort
feststellen, daß auch der charaktervollste, zielbewußteste Mensch diese Konsequenz
nie erreicht, und daß wir auch hier wiederum einen Durchschnitt relativ willkürlich
annehmen, um die Abweichungen nach unten festzustellen.
Nach psychologischer Analyse kann aber die Inkonsequenz zwei Ursachen haben:
Die unzureichende Arbeit der Werkzeuge der Intelligenz oder die eigentümliche Ver-
anlagung der Triebgrundlagen. Ob wir im letzteren Falle auch von Schwachsinn spre-
chen wollen, ist, wenn die begriffliche Unterscheidung klar ist, wiederum nur eine ter-
minologische Frage.
Von der Beurteilung der Konsequenz ist zu unterscheiden die gelegentlich vorkom-
mende Bewertung gewisser Zielsetzungen und Zwecke wegen ihrer Eigenart als schwachsin-
nig. Dies hat folgenden berechtigten Grund: Die Zwecke ordnen sich in eine Reihe
zunehmender Höhe von solchen, die jeden Augenblick erreichbar sind und bloß immer
noch einmal erreicht werden können, über solche, die schwer zu erreichen sind, bis zu
idealen Zwecken, auf die nur hingearbeitet werden kann, die aber unerreichbar sind,
wie es etwa die völlige Konsequenz des Handelns oder die völlige Richtigkeit des Gegen-
standsbewußtseins ist. Je niedriger die letzten Zwecke eines Menschen sind, als desto
 
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