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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0266
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Die Methoden der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz

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Psychologie begrifflich klar zu werden'.488 - Daß übrigens Logiker auch über die psycho-
logische Eigenart des Denkens gegenüber Empfindungskomplexen in dieser Weise
längst klar waren, zeigt folgende Stelle aus Rickert (Zur Lehre von der Definition, 1888,
S. 51): »Wir müssen uns daher von der Vorstellung, als ob ein Begriff als solcher mit
irgendeinem sinnlichen Bild auch nur das allergeringste zu tun habe, vollkommen frei
machen, und uns vielmehr zum Bewußtsein bringen, daß wir eine Sache erst dann wirk-
lich begriffen haben, wenn wir von der Anschauung absehen können.«489
Schließlich scheint uns hier ein neuer Gesichtspunkt für das Verständnis von Agno-
sien490 und Aphasien491 vorzuliegen. Hier wird seit Meynert und Wernicke zur Deu-
tung der Tatsachen ein Verlust des Erinnerungsbesitzes, der mit Besitz von Begriffen
identifiziert wird, und eine Unterbrechung der Assoziationen zwischen dem Erinne-
rungsbesitz verschiedener Sinnesgebiete angenommen. Neuerdings hat Liepmann
(Neurol. Centralbl. 1908, S. 609 ff.)492 gegenüber den letzteren (dissolutorischen) Unter-
brechungen »gewissermaßen« dazu »senkrecht stehende« disjunktive angenommen.
Während erstere zwischen verschiedenen Sinnesqualitäten stattfinden, geschieht dies
mit letzterem zwischen den Merkmalen des Begriffes, seinen Beziehungen und Asso-
ziationen. Liepmann betont, daß diese »ideatorischen« Störungen (= disjunktive) nicht
lokalisierbar seien, sondern auf diffusen Prozessen beruhten, während die dissolutori-
schen Störungen = Herdstörungen seien. Wir können also konstatieren, daß nur solche
Störungen lokalisiert sind, die zu den Empfindungen oder »Erscheinungen«, in diesem
Fall in ihrer »sekundären« (reproduzierten) Form, gehören, also zu dem Stoff, der durch
die Akte erst »beseelt« wird. Von einer Lokalisation der Akte, Begriffe, Urteile, die von
jeher Psychologen recht widersinnig schien, kann darnach nicht geredet werden. Der
Bestand an Empfindungselementen reproduzierbarer Art und ihren Assoziationen
untereinander und mit anderen Sinnesgebieten ist allerdings eine so wichtige Vorbe-
dingung der | Intelligenz, daß mit seiner Zerstörung auch die Akte unmöglich werden,
daher auch das Erkennen und Verstehen aufhört. Aber das Verstehen und Erkennen
besteht nicht in den Assoziationen primärer und sekundärer Empfindungselemente.
Die Identifizierung von Erinnerungsbesitz an solchen Elementen mit Besitz an Begrif-
fen ist ein fundamentaler Irrtum. - Wie weit Liepmanns rein psychologische Analyse
des Begriffszerfalls, bei der keine Beziehung auch nur auf eine mögliche Lokalisation

Ich führe hier nur weniges an, da ja die Dinge ganz geläufig sind: Man spricht von Fehlen logischer
Begriffe, von Fehlen abstrahierter Begriffe, von Urteilen, die zwar gelernt, aber nicht verstanden
seien, von Vorstellungsverknüpfungen nach Qualität und Inhalt im Gegensatz zu Verknüpfungen
nach zufälligem Zusammensein im Bewußtsein, von Mangel an Unterscheidungsvermögen, von
der Verwendung von Allgemeinbezeichnungen, die aus diesem Mangel, nicht aus Generalisation
entstanden seien, so daß das Reden in Allgemeinheiten auf Schwachsinn hinweisen könne usw.
Störring, Vorlesungen über Psychopathologie, S. 392, führt ein hübsches Experiment an Idioten
an, denen er ein kaltes und warmes Reagenzglas zum Unterscheiden gab. Er konnte nachweisen,
daß durch assoziative Abläufe unter bestimmten Bedingungen ein richtiges Resultat erzielt wurde,
während ein Urteil nicht stattfand.

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