Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0267
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
224

Die Methoden der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz

vorliegt, für die speziellen Zwecke der Erfassung der schweren Demenzzustände bei
Paralyse, seniler Demenz und Arteriosklerose, für die sie geschaffen ist, brauchbar ist,
vermögen wir nicht zu beurteilen. Jedenfalls trifft nur der dissolutorische Zerfall einen
anerkannten Funktionszusammenhang, der für die Intelligenz Vorbedingung ist und
von uns nicht weiter berührt zu werden braucht. Sein »disjunktiver Zerfall« trifft aber
die Intelligenz selbst und würde, wenn man ihn anerkennen müßte, große Bedeutung
haben zugunsten atomistischer Assoziationspsychologie. Nun unterscheidet Liepmann
selbst zwischen persistierendem und transitorischem disjunktiven Zerfall. Seine Bei-
spiele sind, soviel ich sehe, sämtlich als transitorischer Zerfall aufzufassen. Dieser ist
dann, da ja ein Zerfall eigentlich gar nicht vorliegt, nur eine bequeme Ausdrucksweise
zur logischen Kennzeichnung des fehlerhaften Resultates bei den Prüfungen der Kran-
ken. Ein persistierender disjunktiver Zerfall ist im Prinzip recht unwahrscheinlich und
von Liepmann nicht erwiesen. Man denke nur im Beispiel Liepmanns: Ein Begriff
»Hund« zerfällt »disjunktiv« in Kopf, Rumpf, Beine, weiter in Eingeweide, Fell und Mus-
keln, diese wieder weiter, dann in räumliche und zeitliche, kausale und zweckhafte
Beziehungen, in die hundertfachen Assoziationen usw. Man muß sofort zugeben, daß
die auf diese Weise zu gewinnenden Elemente schon im primitivsten Bewußtsein
unendlich an Zahl sind, und da soll an bestimmten Orten etwa zwischen Rumpf und
Kopf ein persistierender Zerfall eintreten? Es ist doch wahrscheinlich, daß die Deutun-
gen der Fehler durch solche Analyse in unendlich fortzusetzender Weise nur nach dem
einen Prinzip des Zerfalls logischer Merkmale kaum mehr Erkenntnisse vermitteln wer-
den, als die Deutungen mit Hilfe der von Liepmann als die »bisherigen Rubriken«
bezeichneten Begriffe der Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörung. Man könnte
wünschen, daß eine Psychologie der Akte hier einmal Fortschritte brächte.
Es hätte keinen Zweck, weiter auf die sehr wichtigen Würzburger Ansichten einzu-
gehen, da wir sie doch kaum klarmachen könnten, ohne sehr breit zu werden. Mit dem
Literaturhinweis müssen wir uns im Rahmen dieses Referates begnügen.
Noch auf die Möglichkeit, das Vermögen der Akte, die ja von dem, was man Willen
nennt, völlig verschieden sind, als Werkzeug im früheren Sinne aufzu fassen, möchten wir
hinweisen, da entsprechende Begriffe in unseren Habitusschilderungen vorkommen.
Es besteht ein eigentümlicher Antagonismus zwischen spontanen, instinktiven, intui-
tiven Vorstellungsfolgen und Denkvorgängen mit zerlegten Begriffen und Schlüssen
(in beiden natürlich »Akte«). Beide stehen in intimer Beziehung doppelter Art: Was
etwa der Arzt rein begrifflich aufbauend gelernt und durchgedacht hat, und was er bei
der Diagnose anfangs Schritt für Schritt in einem Denkprozeß neu gewinnen muß, das
188 fällt ihm später ohne Mühe völlig instinktiv ein. Er kann das Resultat | dann aber mehr
oder weniger leicht wieder für einen anderen in einem Denkprozeß entwickeln. Auf
der anderen Seite aber treten manchen Menschen Vorstellungsverläufe, Einfälle ins
Bewußtsein, ohne daß man sie als mechanisiertes, unbewußt gewordenes Denken
genetisch erklären könnte. Wie etwa der eine von Natur Grazie besitzt, der andere sich
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften