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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0276
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Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

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mung des vor uns liegenden Buches z.B. ist ein Komplex von Gesichtsempfindungen
verschiedener Farbe (Qualität) und verschiedener Helligkeit (Intensität). Von solchen
Empfindungen und den Eigenschaften der Wahrnehmung, die sich aus den Empfindun-
gen herleiten lassen, handelt eine experimentell sehr eingehend begründete Wissen-
schaft, die Empfindungslehre. Zweitens finden wir bei der Analyse der Wahrnehmung
reproduzierte Elemente, z.B. klingen bei der Gesichtswahrnehmung des Buches zugleich
in wechselnder Weise Tastempfindungen von Rauhigkeit oder Glätte, Geruchsempfin-
dungen alten Papiers oder auch Gesichtsempfindungen, die der uns abgewendeten
Rückseite des Buches entsprechen, an. Diese beiden Arten von Elementen, die Empfin-
dungen und reproduzierten Elemente, können wir in unmittelbarer Beobachtung als
etwas Verschiedenes erkennen. Sie sind »phänomenologisch« zu trennen.
| In der ersten Gruppe der Empfindungen kann nun die genetische Untersuchung
wieder zwei Arten prinzipiell unterscheiden, solche Empfindungen, die durch einen
äußeren Reiz entstanden sind (primäre Empfindungen), und solche, die auf subjekti-
vem Wege ohne äußeren Reiz hinzugekommen sind (sekundäre Empfindungen). Bei-
spiele hierfür sind alle Illusionen, in denen unvollständige Wahrnehmungen ergänzt
werden. Wundt, der die Häufigkeit dieser Ergänzung durch sekundäre Elemente betont,
nennt den Vorgang der Vereinigung dieser beiden genetisch verschiedenen, aber phä-
nomenologisch gleichen Empfindungsarten Assimilation.513
Fassen wir alle bisher aufgezählten Elemente der Wahrnehmung als eine Gruppe, die
Gruppe der Empfindungen, zusammen, so können wir als zweite Gruppe phänomenolo-
gisch letzter Elemente die räumlichen und zeitlichen Qualitäten der Wahrnehmung nen-
nen. Obgleich vermutlich keine Empfindung ohne räumliche, jedenfalls nicht ohne
zeitliche Qualität vorkommt, haben wir das Recht zu dieser Trennung, weil dieselbe Emp-
findung mit verschiedenen räumlichen Qualitäten vorkommt, z.B. dasselbe Rot als
Punkt, Linie oder Fläche, und weil dieselbe Empfindung zu verschiedenen Zeiten auf-
treten kann.
Wiederum ist von dieser phänomenologischen Unterscheidung die genetische Frage
der Entstehung der Raum- und Zeitanschauung zu trennen. Einige Psychologen haben
z.B. die Ansicht, daß aus den Empfindungselementen der Gesichtsempfindungen mit
ihren Lokalzeichen und den Empfindungen der Augenmuskelbewegungen die Raum-
anschauung durch »schöpferische Synthese«514 entsteht. Für sie ist darum Rauman-
schauung kein letztes Element, sie lassen nur genetisch letzte Elemente zu, d.h. für die
Wahrnehmungen bloß die Empfindungen.
Sind mit den Empfindungen und den räumlichen und zeitlichen Anschauungen die
Elemente der Wahrnehmung erschöpft? Lange Zeit schien es so. Die Assoziationspsycho-
logie515 strebte im bewußten oder unbewußten Anschluß an die Naturwissenschaft
danach, das Seelenleben aus solchen Elementen, die sich nach bestimmten Gesetzen in
verschiedener Weise »zusammensetzen«, genetisch zu erklären, gewissermaßen eine Che-
mie des Seelischen zu schaffen. Ihre Erfolge sind zweifellos. Sie hat einen Zusammenhang

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