Zur Analyse der Trugwahrnehmungen
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Es kann eingewandt werden, schon im einfachsten Empfindungselement liege die-
ses Gerichtetsein auf einen Gegenstand. Wenn man Empfindung und Akt trenne, so sei
das eine ganz überflüssige Teilung eines einheitlichen Elementes. Die Antwort hierauf
ist wie bei allen psychologischen Analysen auf zwei Wegen möglich. Entweder muß das
tatsächlich getrennte und isolierte Vorkommen der Empfindungen und Akte aufgezeigt
werden, oder, wenn das nicht geht, muß nachgewiesen werden, daß die Empfindungen
und Akte jede für sich gleichbleiben können, während das andere Element sich ändert.
Der erste Weg ist schwer gangbar. Man kann hinweisen auf die Organempfindun-
gen, die als Erlebnisinhalt Affekte begleiten, ohne selbst einen Gegenstand aufzubauen.
Sie sind bloß erlebt, während im Affekt ein ganz anderer Gegenstand »gemeint« ist.
Auch andere Empfindungen können vielleicht vereinzelt mit voller Aufmerksamkeit,
aber ohne gegenständliche Deutung erlebt werden. So schildert Messer: »Ich erinnere
mich mit Bestimmtheit nur eines Falles, wo ich dies mit aller Deutlichkeit erlebte. Ich
übernachtete zum ersten Mal in einer mir fremden Stadt, am nächsten Morgen fahre
ich aus dem Schlaf auf: mein Bewußtsein ist gewissermaßen ganz erfüllt von einer
intensiven Gehörsempfindung; sie wird eine Zeitlang nicht lokalisiert, auch nicht | 197
gegenständlich gedeutet; der >Verstand< steht sozusagen still; der Zustand ist unlust-
voll, beängstigend. Freilich dauert er vielleicht nur 2-3 Sekunden. Da taucht plötzlich
die Erinnerung auf, daß ich am Abend vorher ganz in der Nähe meiner Wohnung eine
Bahnlinie bemerkt. Und nun erfolgt sofort die objektive Deutung der Empfindung: es
ist das Geräusch eines vorbeifahrenden Zuges« (l.c. S. 40).
Der zweite Weg scheint überzeugender zu sein. Wir nehmen ein Beispiel Husserls:
»Ich sehe ein Ding, z.B. diese Schachtel, ich sehe nzc/ü meine Empfindungen. Ich sehe
immerfort diese eine und dieselbe Schachtel, wie immer sie gedreht und gewendet wer-
den mag« (l.c. S. 361). Das Erlebnis der Empfindungen wechselt, immer neue Empfin-
dungen treten ins Bewußtsein. Es bleibt das gleiche »Meinen« der Schachtel als Gegen-
stand, derselbe »Akt«. Wir haben in dem Gesamterlebnis der Wahrnehmung der hin
und her gewendeten Schachtel einen wechselnden Bestandteil, die Empfindungen, und
einen gleichbleibenden, das »Meinen« der Schachtel. Es wirkt überzeugend, wenn man
auf Grund solcher Beobachtungen und Erwägungen feststellt, daß beide Bestandteile
wesensverschieden sind, und daß der zweite Bestandteil, der »Akt«, das »Meinen«, das
ist, was erst einen »Gegenstand« für uns in der Wahrnehmung da sein läßt.
Wir haben also das Resultat, daß in der Wahrnehmung wie in allen psychischen Erleb-
nissen zwei ganz verschiedene, unvergleichbare Klassen von Elementen zu unterschei-
den sind: die Empfindungen und die Akte'. Die Empfindungen sind das Material, das da
Beiläufig sei bemerkt, daß dieser Gegensatz nicht auf die Empfindungselemente im alten Sinne be-
schränkt bleibt. Auch in den Gefühlen und Trieben ist ein Material, das im bloßen Geschehen, im
bloßen Erlebtwerden besteht, zu trennen von den Akten des Fühlens und Wollens, die nur möglich
sind, wenn sie auf ein »Etwas« gerichtet sind.
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Es kann eingewandt werden, schon im einfachsten Empfindungselement liege die-
ses Gerichtetsein auf einen Gegenstand. Wenn man Empfindung und Akt trenne, so sei
das eine ganz überflüssige Teilung eines einheitlichen Elementes. Die Antwort hierauf
ist wie bei allen psychologischen Analysen auf zwei Wegen möglich. Entweder muß das
tatsächlich getrennte und isolierte Vorkommen der Empfindungen und Akte aufgezeigt
werden, oder, wenn das nicht geht, muß nachgewiesen werden, daß die Empfindungen
und Akte jede für sich gleichbleiben können, während das andere Element sich ändert.
Der erste Weg ist schwer gangbar. Man kann hinweisen auf die Organempfindun-
gen, die als Erlebnisinhalt Affekte begleiten, ohne selbst einen Gegenstand aufzubauen.
Sie sind bloß erlebt, während im Affekt ein ganz anderer Gegenstand »gemeint« ist.
Auch andere Empfindungen können vielleicht vereinzelt mit voller Aufmerksamkeit,
aber ohne gegenständliche Deutung erlebt werden. So schildert Messer: »Ich erinnere
mich mit Bestimmtheit nur eines Falles, wo ich dies mit aller Deutlichkeit erlebte. Ich
übernachtete zum ersten Mal in einer mir fremden Stadt, am nächsten Morgen fahre
ich aus dem Schlaf auf: mein Bewußtsein ist gewissermaßen ganz erfüllt von einer
intensiven Gehörsempfindung; sie wird eine Zeitlang nicht lokalisiert, auch nicht | 197
gegenständlich gedeutet; der >Verstand< steht sozusagen still; der Zustand ist unlust-
voll, beängstigend. Freilich dauert er vielleicht nur 2-3 Sekunden. Da taucht plötzlich
die Erinnerung auf, daß ich am Abend vorher ganz in der Nähe meiner Wohnung eine
Bahnlinie bemerkt. Und nun erfolgt sofort die objektive Deutung der Empfindung: es
ist das Geräusch eines vorbeifahrenden Zuges« (l.c. S. 40).
Der zweite Weg scheint überzeugender zu sein. Wir nehmen ein Beispiel Husserls:
»Ich sehe ein Ding, z.B. diese Schachtel, ich sehe nzc/ü meine Empfindungen. Ich sehe
immerfort diese eine und dieselbe Schachtel, wie immer sie gedreht und gewendet wer-
den mag« (l.c. S. 361). Das Erlebnis der Empfindungen wechselt, immer neue Empfin-
dungen treten ins Bewußtsein. Es bleibt das gleiche »Meinen« der Schachtel als Gegen-
stand, derselbe »Akt«. Wir haben in dem Gesamterlebnis der Wahrnehmung der hin
und her gewendeten Schachtel einen wechselnden Bestandteil, die Empfindungen, und
einen gleichbleibenden, das »Meinen« der Schachtel. Es wirkt überzeugend, wenn man
auf Grund solcher Beobachtungen und Erwägungen feststellt, daß beide Bestandteile
wesensverschieden sind, und daß der zweite Bestandteil, der »Akt«, das »Meinen«, das
ist, was erst einen »Gegenstand« für uns in der Wahrnehmung da sein läßt.
Wir haben also das Resultat, daß in der Wahrnehmung wie in allen psychischen Erleb-
nissen zwei ganz verschiedene, unvergleichbare Klassen von Elementen zu unterschei-
den sind: die Empfindungen und die Akte'. Die Empfindungen sind das Material, das da
Beiläufig sei bemerkt, daß dieser Gegensatz nicht auf die Empfindungselemente im alten Sinne be-
schränkt bleibt. Auch in den Gefühlen und Trieben ist ein Material, das im bloßen Geschehen, im
bloßen Erlebtwerden besteht, zu trennen von den Akten des Fühlens und Wollens, die nur möglich
sind, wenn sie auf ein »Etwas« gerichtet sind.