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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0283
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240

Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

Es scheint also, daß nicht bloß in der ersten Deskription Objektivitätscharakter und
Realitätsurteil zu trennen sind, sondern daß sie beide ganz verschiedenen Klassen von
Phänomenen angehören, deren Genese durch die völlig heterogenen Methoden des
Erklärens durch außerbewußte Vorgänge und des Verstehens durch innerbewußte
Abhängigkeiten untersucht wird. Die weitere genauere Analyse wird zu bestätigen
haben, daß sich dies wirklich so verhält.
Gibt es einen Objektivitätscharakter der Wahrnehmungsgegenstände, was uns ein-
leuchtend wurde, da etwas derartiges bei wechselndem Realitätsurteil bestehen bleibt,
so gibt es als Gegensatz den Subjektivitätscharakter, den die Vorstellungsgegenstände besit-
zen'. Zwischen beiden kann kein Übergang bestehen. Schwanken kann nur das psycho-
logische Urteil, ob der Objektivitätscharakter vorgelegen habe oder nicht.
Eine genauere Untersuchung des Objektivitätscharakters fällt daher zum Teil
zusammen mit einer Beantwortung der Frage nach dem Unterschied zwischen Wahr-
nehmung und Vorstellung.
Dieser Unterschied wird verschieden aufgefaßt:
i. ist es der Unterschied der objektiv oder subjektiv entstandenen sinnlichen
Empfindungsinhalte. Dieser Unterschied liegt außerhalb des Bewußtseins, in der Ent-
stehung der Wahrnehmung".526
202 | 2. ist es der Unterschied der als objektiv oder subjektiv entstandenen beurteilten
sinnlichen Empfindungsinhalte. Dieser Unterschied liegt nicht im Wahrnehmungs-
erlebnis selbst, sondern im Urteil darüber'".527
3. ist es der Unterschied, der unabhängig von der Entstehung und unabhängig
vom richtigen oder falschen Urteil über die Entstehung bestehen bleibt. Diesen Unter-
schied oder einen Teil desselben meinen wir mit dem Gegensatz des Objektivitätscha-
rakters und Subjektivitätscharakters. Er liegt im Wahrnehmungserlebnis selbst".52*
i Zur Terminologie: Charakter der Objektivität und Leibhaftigkeit auf der einen Seite, Charakter der Sub-
jektivität und Bildhaftigkeit auf der anderen Seite werden in dieser Arbeit identisch gebraucht. Alle
diese Ausdrücke sind mißverständlich. Sie sollen alle eine unmittelbar gegebene Seite der sinnlichen
Erlebnisse bezeichnen, von denen eine, sei es die Leibhaftigkeit oder die Bildhaftigkeit, immer mit den
sinnlichen Inhalten verbunden ist. Das naive und natürliche Bewußtsein hat sich für diese gesonder-
ten Phänomene nie interessiert, da es auf die Gegenstände, nicht auf deren Erlebnisse gerichtet ist.
Die Sprache hat darum keine direktbezeichnenden Ausdrücke. Wir müssen deswegen Ausdrücke, de-
ren etymologischer Sinn einen Vergleich bedeutet, benutzen. So verführt Leibhaftigkeit zu dem Miß-
verständnis, es sei darin Körperlichkeit, Objektivitäts- und Subjektivitätscharakter zu dem, es sei ein
Realitätsurteil gemeint. Und Bildhaftigkeit soll nicht heißen, daß es sich um »Bilder« handelt. Vgl.
hierzu S. 245 dieser Arbeit.
ü Diese Auffassung des Unterschiedes liegt dem Satze Goldsteins zugrunde: »Die Eigenerregun-
gen der Netzhaut, die hier das subjektive Phänomen liefern, darf ich wohl als auch nicht durch
ein außer uns gelegenes Objekt bedingt - und darauf kommt es hier ja an - zu den Erinnerungs-
bildern in Parallele stellen« (l.c. S. 606, Anm.).
üi Z.B. Goldstein, S. 606: »... in diesem verschiedenen Realitätsurteil müssen wir wohl den prinzi-
piellen Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erinnerungsbild sehen.«
iv Einen möglichen Unterschied im Tatbestand der Wahrnehmung und Vorstellung hat Goldstein
im Auge, wenn er schreibt: »Resümieren wir kurz, so müssen wir sagen, daß das Erinnerungsbild ei-
 
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