Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0290
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

247

Nachbilder mit den Augenbewegungen wandern, und solche, die einen festen Ort im
objektiven Raum haben, beim Wegwenden des Blickes nicht mehr gesehen werden,
beim Hinwenden des Blickes wieder da sind. Da diese optischen | Halluzinationen im 208
objektiven Raum bestritten sind und damit wohl auch alle Leibhaftigkeit der optischen
Halluzinationen, suchen wir sie durch Fälle zu belegen. Denn wenn es hier bei den dif-
ferenzierte sten Sinneswahrnehmungen gelingen würde, Leibhaftigkeit bei Trugwahr-
nehmungen zu bestreiten, dann ist die ganze These von der Trennung des Gegensatzes
Leibhaftigkeit - Bildhaftigkeit und richtiges - falsches Realitätsurteil in Frage gestellt.
1. Illusionen
Eine Kranke der Heidelberger Klinik sah bei voller Besonnenheit und Orientierung, so daß sie
ihre Erscheinungen gelegentlich auf Papier nachzeichnete, auf der Bettdecke »wie eingestickt«
und an der Wand Menschen- und Tierköpfe, sämtlich farblos. Sie sah grimassierende Fratzen
und deutete auf Sonnenflecke an der Wand als solche. Solche Dinge sah sie jahrelang und wußte
immer, daß es sich um Täuschungen handelte. Sie berichtete z.B. einmal: »Das Auge bringt aus
jeder Vertiefung und Erhöhung ein Gesicht heraus. Anfangs April sah ich den Kopf meines Va-
ters lebend. An Erscheinungen glaube ich nicht, aber meine Augen haben es gesehen; ich war
wach und erschrocken. Die Augen hatten drohenden Ausdruck. Die Fratzen sind flächenhaft
und bewegen sich nicht. Sie sehen mich an. Wenn ich wegsehe, verändert es sich und es er-
scheint ein anderer Kopf, größer als lebensgroß und ineinandergeschoben. Männer und Frauen
können es sein. Der Ausdruck ist meist gleichgültig. Erklären kann ich mir die Sache nicht. Ei-
nen Zweck kann ich nicht darin erkennen. Es steckt niemand dahinter.«
2. Mit den Augenbewegungen wandernde Halluzinationen
Uhthoff (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. 5, S. 242)537 schildert eine Kranke, die eine alte zen-
trale Chorioiditis538 hat. Nachdem sie ca. 20 Jahre nichts derartiges beobachtet hat, bemerkt sie
plötzlich eines Tages, »als sie aus dem Fenster sah, >Rebenlaub< auf dem Pflaster des Hofes, wel-
ches sich bewegte und in der Größe wechselte. Diese Erscheinung der Blätter bestand einige
Tage lang, dann wurde ein Baum mit Knospen daraus. Wenn sie auf der Straße spazieren geht,
sieht sie den Baum zwischen den wirklichen Sträuchern wie in einem Nebel auftauchen.« »Bei
Bewegungen der Augen wandern die Erscheinungen mit, ja Patientin bemerkt gerade an diesem
Mitwandern, daß es keine wirklichen Objekte sind, welche stillstehen.«539
3. Fest im Raum lokalisierte Halluzinationen
Ein mir befreundeter Psychiater540 schildert ein eigenes Erlebnis aus seiner Kindheit, dem wir
eine analoge Beobachtung Löwenfelds an die Seite setzen, wie folgt: »Pfingsten 1886 starb Lud-
wig II. von Bayern. Es war Feiertag, ob der erste oder zweite, weiß ich nicht mehr. Die ganze Fa-
milie wollte nachmittags einen Spaziergang machen. Wir gingen über die R.-Gasse nach dem
S.-Platz an der P.-Zeitung vorbei. Dort wurden Extrablätter ausgerufen. Es war, soweit ich mich
erinnere, das erste Mal, daß ich so etwas erlebte. Ich war damals 13 Jahre alt. Viele Menschen
standen auf der Straße. Man erfuhr, daß Ludwig II. mit seinem Arzt Gudden ertrunken war.541
Das Ganze hatte etwas Geheimnisvolles. Als mein Vater uns die Nachricht vorlas, bekamen wir
alle einen heftigen Schrecken. Mein Vater, der den König oft gesehen hatte, erzählte von ihm
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften