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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0296
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Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

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rerseits hat es bei bloßen Empfindungen und bloßer Räumlichkeit, bevor sie durch
Akte zu Gegenständen werden - wenn wir das Unmögliche zu denken versuchen -
noch keinen rechten Sinn, von Leibhaftigkeit zu reden. Erst muß ein Gegenstand für uns
da sein. Dieser ist dann sogleich entweder leibhaftig oder bildhaftig.
Dieser Ansicht scheint Husserl zu sein'.550 Im Gegensatz dazu steht die Ansicht
von Messer", der die Wahrnehmung charakterisiert »als einen setzenden objektivie-
renden Akt«'", und der die Gegenwart und Leibhaftigkeit des Gegenstandes in der
Wahrnehmung auf den Empfindungsbestandteilen beruhen läßt. Unsere Erwägungen
dürften ergeben haben, daß das letztere zweifelhaft ist und daß der setzende Akt (der
unserem Realitätsurteil entspricht) nicht zur Wahrnehmung gehört, wenn er auch bei
der Mehrzahl der normalen Wahrnehmungen vorhanden ist. Die Beschränkung sei-
ner Erörterungen auf diese normalen Wahrnehmungen hat Messer wohl zu seiner
Definition veranlaßt, die uns nicht haltbar erscheint.
Das »als leibhaftig meinen« kann nun wieder viele verschiedene Weisen haben, es
kann setzendes oder nicht setzendes Meinen sein, im letzteren Falle kann es bei opti-
schen Wahrnehmungen z.B. wieder ein Meinen als Spiegelbild, als Illusion, als Bild,
als körperlosen Lichtschein, als Halluzination sein. Alles dies gehört unter die Unter-
suchung des Realitätsurteils.
Im Objektivitätscharakter im Gegensatz zum Subjektivitätscharakter, in der Leibhaf-
tigkeit im Gegensatz zur Bildhaftigkeit liegt also, das scheint uns unmittelbar einleuch-
tend, ein Unterschied der Akte. Das Meinen eines Dinges als eines leibhaftigen oder das
Meinen desselben als eines bildhaften liegt sicher | in diesem Gegensatz. Ob aber der 214
Unterschied damit erschöpft ist, müssen wir dahingestellt sein lassen. Es ist nicht unmög-
lich, daß Eigenschaften der Empfindungselemente und räumliche Eigenschaften
untrennbar und immer mit jener Leibhaftigkeit oder Bildhaftigkeit verknüpft sind und
dann auch zu ihnen als notwendiges Element gerechnet werden müssen. Der Objektivi-
tätscharakter ist vorläufig ein zusammen fassender Ausdruck für ein unmittelbar gegebenes
Phänomen, von dem wir nicht endgültig wissen, ob es ausreichend beschrieben ist, wenn
es für eine Art von Akten, für eine Weise des gegenständlichen Meinens erklärt wird. Was

i l.c. S. 364, Anm.: »Der vielverhandelte Streit über das Verhältnis zwischen Wahrnehmungs- und
Phantasievorstellung konnte bei dem Mangel einer gehörig vorbereitenden phänomenologischen
Unterlage und dem daraus folgenden Mangel an klaren Begriffen und Fragestellungen zu keinem
rechten Ergebnis führen. Daß die Aktcharaktere beiderseits verschieden sind, daß mit der Bildlich-
keit eine wesentlich neue Weise der Intention Erlebnis wird, glaube ich zweifellos nachweisen zu
können.« Der Inhalt des Zusatzes: »Ist man damit im Reinen, so wird man sich kaum dazu ent-
schließen, überflüssigerweise auch noch einen wesentlichen Unterschied zwischen Empfindungen
und Phantasmen (als den sinnlichen Anhalten der Auffassung in der Phantasiebildlichkeit) zu sta-
tuieren«, braucht mit den ersten Sätzen nicht notwendig anerkannt zu werden.
ü Messer, Empfindung und Denken, Leipzig 1908, S. 59.
ui »Objektivierende Akte« nennt man alle Akte der intellektuellen Sphäre im Gegensatz zu Willens-
und Gefühlsakten.
 
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