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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0335
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292

Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

gewöhnlicher Wahrnehmung. Wollen wir den Ausdruck »Unwirklichkeitsgefühl« uns
zunächst einmal erlauben, so werden wir doch gleich feststellen können: es ist nicht das
Unwirklichkeitsgefühl, das auf Grund früherer Erfahrungen und Urteile z.B. bei der
Kranken im Falle Probsts schließlich die Stimmen begleitete. Es ist nicht ein durch frü-
here ausdrückliche Urteile »verständliches« als Unwirklichkeitsgefühl abgekürztes Urteil.
Wenn es nicht dieses Unwirklichkeitsgefühl ist, ist es dann vielleicht der Subjektivi-
248 tätscharakter der Vorstellungen, den diese gegenüber der Leibhaftigkeit | der Trugwahr-
nehmungen haben? Auch das nicht. Was die Vp. durch ihr Glas sah, war so leibhaftig
wie andere Wahrnehmungen. Jenes »Unwirklichkeitsgefühl« muß einer besonderen
Gruppe von Wahrnehmungen, die alle leibhaftig sind, eignen. Wir können die Dinge
selbst, gemalte Bilder, Zeichnungen, Spiegelbilder wahrnehmen. In allen diesen Fäl-
len nehmen wir etwas leibhaftig wahr, aber die Leibhaftigkeit ist eine verschiedene.
Wollen wir diese verschiedene Leibhaftigkeit, die wir unmittelbar erleben, erklären,
so können wir das nur durch associative Prozesse. Mit Recht weist Pick auf die räum-
liche Diskontinuität zwischen der Gesichts- und Tastwahrnehmung hin. Diese als
Erklärungsmittel ist nicht selbst im Bewußtsein, aber daß sie da ist, hat das Ausbleiben
gewisser associativer Verschmelzungen und damit Wirkungen zur Folge, die als verschie-
dene Arten von Leibhaftigkeit bewußt sind.
Aber diese räumliche Diskontinuität ist eine ganz andere als die räumliche Diskontinui-
tät zwischen Wahrnehmung und Vorstellung oder Pseudohalluzination. Diese beiden Phä-
nomene durch dasselbe Wort zu bezeichnen, was auch wohl Goldstein nahe liegt,
ist von bedenklicher Wirkung. Um uns die Verschiedenheit dieser beiden Diskontinui-
täten klarzumachen, nehmen wir vielleicht besser ein anderes Beispiel als das der Strat-
tonschen Versuche. Hier bestand die Diskontinuität zwischen der Räumlichkeit ver-
schiedener Sinnesgebiete. Wir brauchen zum deutlicheren Vergleich einen Fall, wo
diese Art der Diskontinuität im gleichen Sinnesgebiet vorliegt. Dieser Fall ist leicht zu
erleben. Sieht man mit einem Auge durch das eine Rohr eines Opernglases, so sieht
man gleichzeitig mit dem einen Auge die wirkliche Umgebung, mit dem andern Auge
einen kreisrunden Ausschnitt, der einen Teil der Umgebung in Vergrößerung oder Ver-
kleinerung zeigt. Es besteht jetzt zwischen beiden Raumanschauungen die Stratton-
sche Diskontinuität, das im Opernglase Gesehene schwebt wie ein Bild vor dem übri-
gen.
Aber diese Diskontinuität besteht innerhalb desgleichen objektiven Raums, der gegen-
über dem Vorstellungsraum in damit unvergleichlicher Weise diskontinuierlich ist. Man
kann nicht Vorstellungsraum und objektiven Raum in einem Wahrnehmungsfeld ver-
einigen, man kann aber sehr gut die beiden eben geschilderten diskontinuierlichen
Räumlichkeiten im objektiven Raum gleichzeitig sehen. Bewegt die Strattonsche Vp.
ihre Hand, so sieht sie diese Bewegung im objektiven Raum, nur in einer Weise, die zu
den gewohnten associativen Verschmelzungen nicht paßt. Bewegt dagegen der Pseu-
dohalluzinant seine Hand nach seinen Phantasmen, so kommt er überhaupt nicht in
 
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