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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0361
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3i8

Die Trugwahrnehmungen

ses Gebiet geschrieben haben, waren nicht Psychiater. Sie kannten nicht jene Phäno-
mene, die manche Psychiater mehr ahnend als begrifflich deutlich in ihrer Besonderheit
»echte Halluzinationen« nennen. Hagen versuchte durch seine Definition den Begriff
auf diese einzuschränken und schaltete damit alle andern oben geschilderten Sinneser-
scheinungen aus. Die fundamentale Unterscheidung und vielseitige Erörterung der
unterscheidenden Merkmale brachte Kandinskys Buch. Leider ist dieses Buch mit man-
chen Irrtümern, vor allem seiner somatischen Theorie über die Genese der Leibhaftigkeit
belastet, Punkte, an denen die Kritiker mit Recht einsetzten, über die aber mit Unrecht
die zentrale Stellung dieses Werkes für die Erfassung der Halluzinationen übersehen
wurde. Kandinsky, der selbst an einer halluzinatorischen Psychose gelitten hat, zeich-
net sich durch eine seltene Plastik der Schilderung aus. Diese Dinge sind ja nicht einfach
begrifflich zu »lernen«, sondern es bleibt ein Rest von Gefühl für die Unterschiede, das
durch Schilderungen lebendiger, aber nicht mehr klarer wird. Ein sehr lebhaftes Gefühl
für den von den echten Halluzinationen fundamental verschiedenen Charakter aller
übrigen Erscheinungen im Gebiete der Sinne durchzieht sein ganzes Buch und geht auf
den aufmerksamen Leser durch eine suggestive Kraft der Darstellung über.
Sollten sich nun aber auch die begrifflichen Formulierungen nicht halten lassen,
zunächst brauchen wir die Begriffe der Illusion, an den Namen Esquirol geknüpft,648
und den der Pseudohalluzination, an den Namen Kandinsky geknüpft, noch als
Werkzeug zur Charakterisierung der Phänomene. Sollten sie sich bei einer eingehenden
Beschreibung neu beobachteter Sinnesvorgänge als unzureichend erweisen, so kann
das nur erfreulich sein. Zur Zeit müssen diese Begriffe mit aller Strenge verwandt wer-
den; vielleicht wird gerade in der Opposition zu ihnen die Beobachtung der Sinnes-
täuschungen, die schon lange kaum Neues gebracht hat, angeregt. Der Versuch, diese
Begriffe abzutun durch die Behauptung überall bestehender allmählicher Übergänge
ist gefährlich für die weitere Beobachtung. Erst scharfe Trennungen zu machen, von
denen aus man sich zurechtfinden kann, bis die reife Kenntnis der Phänomene es
erlaubt, wieder die Einheit zu sehen, das scheint das zweckmäßigste Prinzip. Vorher
alles durch das bedrückende Wort »Übergänge« zu erledigen, übt lähmende Wirkun-
gen aus auf weitere Analyse und Beobachtung, - hier wie sonst in der Psychiatrie.
(Elementare und komplexe Halluzinationen.) Außer den genannten Unterscheidun-
gen begegnen uns in der Literatur noch einige besondere Gruppen von Trugwahrneh-
mungen. Man teilt z.B. ein in elementare und komplexe Halluzinationen. Erstere sind
solche, in denen die Trugwahrnehmungen vorwiegend aus einzelnen Empfindungsele-
mentenbestehen (z.B. Funken, Flammen, Rauschen, Knallen), letztere solche, in denen
komplizierteryeformteGeyerzstärzde wahrgenommen, z.B. Worte gehört, Gestalten gese-
hen werden. In dieser Formulierung bestehen keine prinzipiellen Unterschiede zwi-
schen beiden Gruppen. Man kann den Unterschied aber zu einem prinzipiellen
umdeuten: im einen Fall werden Gegenstände wahrgenommen, Gestalten oder Flammen,
im andern Fall Empfindungen bloß erlebt. Wenn jemand z.B. ein Sausen hört, ohne es
 
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