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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0363
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320

Die Trugwahrnehmungen

gen keine Stelle in der allgemeinen Psychopathologie hat. Er bezeichnet keine deskrip-
tivbesondere Klasse von Halluzinationen, sondern teilt sich ohne Schwierigkeit unter
verschiedene Gesichtspunkte auf, die sich in ihm durchkreuzen, und unter denen die
273 mit seinem Namen beschriebenen | Erscheinungen gesondert zu behandeln sind:
unter dem Realitätsurteil über die Halluzinationen und unter ihren psychischen Abhän-
gigkeitsbeziehungen.
(Negative Halluzinationen.) Eine sehr merkwürdige Erscheinung, die besonders bei
hypnotischer Einwirkung beobachtet ist, hat man als negative Halluzination beschrie-
ben (Bernheim S. 41 ff.).654 Die Menschen sehen eine bestimmte Gestalt, die da ist, z.B.
den Arzt, nicht, während sie alles übrige sehen. Lemaitre beschreibt einen Fall, in dem
ein Mensch alle Gegenstände, nur sich selbst nicht, im Spiegel sah, als negative auto-
skopische Halluzination.655
(Trugwahrnehmungen bei getrübtem Bewußtsein.) Alle bisherigen Unterscheidungen
setzten zunächst voraus, daß die Trugwahrnehmungen bei klarem und besonnenem
Bewußtsein erlebt wurden (vgl. oben S. 300). Die Besprechung der Bewußtseinstrü-
bungen liegt nicht in den Grenzen unseres Referats. Nur einige Punkte aus dem Pro-
blemgebiet: Trugwahrnehmungen bei Bewußtseinstrübungen führen wir an.
Eine große Rolle spielen in der Literatur die hypnagogen Halluzinationen. Als solche
werden Phänomene beschrieben, die in den Zeiten vor dem Einschlafen auftreten,
vom vollen Wachen bei geschlossenen Augen bis zum Traum. Unter diesen sinnlichen
Phänomenen sind zwei Gruppen zu unterscheiden (Hagen S. 74 Anm., besonders
Kandinsky S. 54 ff.): leibhaftige sinnliche Erscheinungen im Augenschwarz und
eigentliche Pseudohalluzinationen. Die meisten der hypnagogen Halluzinationen der
Gesunden gehören zu den letzteren: es sind detaillierte, plötzlich auftauchende sinn-
liche Vorstellungen, nicht leibhafte Trugwahrnehmungen. Aber auch letztere werden
von Gesunden (z.B. Joh. Müller) beobachtet. Selbstschilderung dieser Phänomene
findet man bei Maury656 und Hoppe (i, S. 81 ff.; 2, S. 448 ff.).657
Es wird vielfach angegeben, daß sich die sogenannten Halluzinationen des Traums
aus den hypnagogen entwickeln. Es scheint, daß sie dann nur aus den Pseudohalluzi-
nationen hervorgehen. Ob man überhaupt von Traumhalluzinationen reden kann, ist
bestritten. Hagen rechnet sie nicht zu den echten Halluzinationen. Diese echten müß-
ten gleichzeitig mit realen Wahrnehmungen auftreten, während im Traum das Indi-
viduum mit seiner ganzen Vorstellungswelt entrückt sei, so daß ihm von der wirkli-
chen Welt nichts mehr inne werde. Aus demselben Grunde gehören die Phänomene
ekstatischer Zustände und vollkommener Entrücktheit in anderen Bewußtseinstrü-
bungen nach Hagen nicht zu den Halluzinationen. Hiergegen wendet sich Kandinsky
S. 23 ff. Für die Auffassung Hagens sprechen unter anderem Beobachtungen, die auf
ein von den gewöhnlichen Traumvorgängen zu unterscheidendes, echtes Halluzinieren
im Traume hinweisen. Kranke berichten von Träumen, die anders waren wie sonst, die
Wirklichkeit waren. Sie werden durch Stimmen oder durch Stöße und durch Zupfen
 
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