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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0364
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Die Trugwahrnehmungen

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an der Bettdecke erweckt. Näcke658 bringt eine Selbstbeobachtung: er glaubte im
Schlafe eine elektrische Klingel zu hören und wachte davon auf (zit. nach Obersteiner
S. 253). - Nachbilder nach Traumhalluzinationen sind behauptet, aber nicht sicherge-
stellt (Müller S. 26, 36; Hagen S. 47, 49).
Dies führt auf die interessanten Phänomene, die zwischen Schlaf und Wachen auf-
treten. Besonders Kranke der Dementia-praecox-Gruppe können | über solche Erschei- 274
nungen berichten. Baillarger hat über sie eine besondere Arbeit geschrieben. -
Über die Träume der Halluzinanten und ihren Bewußtseinszustand im Wachen
schildert Kandinsky von sich selbst:
»Während der Periode des Sinnesdeliriums waren meine Träume (was Gesichtsbilder und das
Gefühl des Fortbewegens im Raume anbetrifft) ungemein lebhaft. Es war ein Halluzinieren im
Schlafe. Überhaupt bietet der Zustand des Wachens und des Schlafes bei einem halluzinieren-
den Kranken keinen so scharfen Unterschied dar: einerseits sind die Traumbilder so lebhaft, daß
der Kranke sozusagen im Schlafe wacht, andrerseits sind die Halluzinationen des wachen
Zustandes so wunderlich und mannigfaltig, daß man sagen kann - der Kranke träumt - wachend.
Meine Träume während der Krankheit waren oft nicht weniger lebhaft als etwas in Wirklichkeit
Erlebtes; zuweilen, wenn einige Traumbilder in meiner Erinnerung aufstiegen, konnte ich nur
nach langsamem und mühsamem Erwägen entscheiden, ob ich dieselben in Wirklichkeit erlebt
oder nur geträumt hatte. (1, S. 459.)«639
Man hat schließlich noch nach Beziehungen zwischen der Art des Bewußtseinszustan-
des und besonderen Halluzinationen gesucht. Goldstein (i) meint, daß ganz allgemein,
nicht nur bei Alkoholpsychosen, in Bewußtseinstrübung mehr optische, in besonne-
nen Zuständen mehr akustische Halluzinationen auftreten, und glaubt hier nicht
einen zufälligen, sondern einen psychologisch verständlichen Zusammenhang zu fin-
den (S. 263).660 - Berze nimmt an, daß die Perzeptionshalluzinationen (Wahrneh-
mungstäuschungen Kraepelins)661 vom Bewußtseinszustand unabhängig sind, daß
dagegen die Apperzeptionshalluzinationen (Einbildungstäuschungen Kraepelins)662
nur bei Einengung des Bewußtseins auftreten.663

B. Die Abhängigkeitsbeziehungen
(Die somatischen Abhängigkeitsbeziehungen. Die Abhängigkeit von den peripheren Sinnes-
organen.) »Eine Ätiologie der Halluzinationen gibt es so wenig wie es eine Anatomie
derselben gibt.« Dieser Satz von Neumann (Lehrbuch S. 120)664 besteht in folgendem
Sinne noch heute zu Recht: wir kennen keine Ursachen, die immer bestimmte Hallu-
zinationen zur Folge hätten. Selbst durch Einführung von Giften, an die man denken
könnte, entstehen nicht immer Sinnestäuschungen, und wenn sie unter bestimmten
Bedingungen auch fast immer entstehen, so doch nicht als Folge der Giftwirkung für
sich allein, sondern als Element eines ganzen Krankheitsbildes. Auch eine Anatomie
der Halluzinationen gibt es insofern nicht, als es keinen anatomischen Befund gibt,
 
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