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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0386
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Die Trugwahrnehmungen

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zu unterscheiden, die ohne daß im sinnlichen Element das Abnorme liegt, ebenfalls
dem Kranken durch eine fremde Macht eingegeben werden. (Über alles dies
Kandinsky.)
(Geschmack und Geruch.) Über Geschmacks- und Geruchshalluzinationen ist wenig
Allgemeines zu sagen. Es handelt sich um so einfache Sinnesvorgänge, daß selbst eine
Unterscheidung in elementare und komplexe Halluzinationen Schwierigkeiten macht.
Die Unmöglichkeit der Abgrenzung der Illusionen und Halluzinationen auf diesem
Gebiete wird vielfach betont. Im Prinzip und manchmal auch in praxi kann man
unterscheiden zwischen solchen Halluzinationen, die ganz spontan auftreten und sol-
chen, in denen objektive Gerüche und Geschmacksempfindungen anders gerochen
und geschmeckt werden.
Rose beobachtete in der Santonvergiftung sowohl Geschmacksillusionen, wenn spontan
kein Geschmack auftrat, wohl aber reines Wasser intensiv bitter schmeckte, wie Halluzinatio-
nen, wenn spontan ein Geschmack auftrat. Wernich774 beobachtete Geschmacksparästhesien
nach Morphiuminjektionen bei Kachektischen.89 Ein Geisteskranker schildert: Mit dem
Geschmack ist es sonderbar; ich schmecke die Speisen, wies grade kommt, Kohl wie Honig oder
auch auf andere Art; oft finde ich beim Kosten die Suppe so wenig gesalzen, daß ich viel Salz
hineintun will; in demselben Moment, wo ichs noch nicht getan, schmeckts dann plötzlich wie
versalzen. (Koppe S. 34.)77S
Geruchshalluzinationen kommen oft bei Geisteskranken vor. Sie klagen über Koh-
lendunst, Schwefelgeruch, über stinkende Luft, daß sie nicht schlafen können. Sie rie-
chen Urin, Stuhlgang, Schweiß, oder sie riechen einen von ihnen selbst ausgehenden
penetranten Gestank. Bullen776 hat die Geruchshalluzinationen besonders behandelt.
(Allgemeiner Sinn.) Unter dem Worte »allgemeiner Sinn«777 fassen wir hier alle Sin-
ne sempfindungen und Wahrnehmungen zusammen, die nach Abzug | der vier höhe- 294
ren Sinne noch übrig bleiben. Die Psychologie und Physiologie hat in diesem allge-
meinen Sinn eine weitgehende Differenzierung gefunden (vgl. die Lehrbücher von
Wundt u.a.), die aber noch nicht planmäßig in Beziehung zu den Erlebnissen der Gei-
steskranken gesetzt wurde. Hier besitzen wir eine ungeheure Mannigfaltigkeit von
Angaben über rätselhafte Empfindungen, die wiederzugeben zu weit führt, da sie bis-
her keiner systematischen Ordnung unterworfen wurden. Nur einiges kann herausge-
griffen werden.
Es ist schwierig, aber prinzipiell zu fordern, die wirklichen sinnlichen Erlebnisse auf
dem Gebiet des allgemeinen Sinns von den wahnhaften Deutungen zu trennen, bei letz-
teren aber die zugrunde liegenden sinnlichen Vorgänge zur Klarheit zu bringen. Zwei-
tens ist es ebenso schwierig, aber prinzipiell wichtig, die sinnlichen Daten von Gefühlen
zu trennen. Allerdings ist diese Trennung bestritten worden (Stumpf).778 Über die mit
dieser Trennung verknüpften Fragen ist die Arbeit von Oesterreich779 heranzuziehen,
die sich mit der Rolle der Gefühle bei der Wahrnehmung überhaupt beschäftigt.
 
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