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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0444
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

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Er weiß aus seiner Kindheit von einigen besonders lebhaften »Träumen« zu erzählen. Als er
10 Jahre alt war, starb der Großvater. Zwischen dem ersten und dritten Tage nach dem Begräb-
nis sah er unter dem Kopfkissen eine Ringelnatter, er habe gekrischen, dann habe er weiter
geschlafen. Bald danach habe er ganz deutlich den Großvater gesehen. Er habe in der Angst
nach der Großmutter gerufen. Als die fragte, was er wolle, war er schon wach und sah nichts
mehr. Gleich darauf schlief er wieder ein. - Nach einem Mord habe er bald danach geträumt, er
sehe den Ermordeten unter den Pappeln liegen, wie er ihn kurz zuvor in Wirklichkeit gesehen
hatte. Er habe aufgeschrien, sei erwacht; dann war es fertig. Wiederum schlief er gleich von
neuem ein. - Er sei als Junge nicht besonders ängstlich gewesen. Den »Katzenlauf« über den
Dachfirst habe er zwar zuerst nicht gewagt, habe ihn dann aber allein probiert und ihn den
Kameraden vorgemacht. - Eine Zeitlang habe er nicht sehen können, wenn einer geblutet hat.
Nach der Schule war er in der Landwirtschaft, dann als Kutscher tätig. 1899-1901 war er beim
Militär. 1902 heiratete er. Die Ehe war bald eine unglückliche.
Im Laufe seines Lebens hat er mehrere Unfälle ohne Folgen erlitten. Er fiel vom Baum und
kam erst im Bett zu sich. Eine Eisenbahnschiene fiel ihm auf den Kopf.
| Strafen. Beim Militär zweimal Mittelarrest wegen Gehorsamsverweigerung. 1898 drei Tage
Haft wegen Dienstentlaufens, 1899 drei Monate Gefängnis wegen Diebstahls (er stahl einer
Magd aus der Kommode Geld, das er sofort vertrank). 1899 drei Tage Haft wegen Dienstentlau-
fens, 1905 drei Wochen Gefängnis wegen Untreue mit Unterschlagung.
Der Kranke hat immer, bis zuletzt, regelmäßig gearbeitet, zuletzt als Taglöhner im Kohlensyn-
dikat.
Über den Alkoholgenuß des Kranken erfahren wir von ihm selbst, daß er früher als Kutscher vor
der Militärzeit viel getrunken habe (wieviel weiß er nicht mehr), und daß er damals mehr habe ver-
tragen können. Beim Militär habe er fast nichts getrunken, später bei der Arbeit, wie sich das gehöre,
durchschnittlich täglich 6 Flaschen Bier (1 Flasche = 0,71). In den letzten Jahren sei er manchmal
betrunken gewesen. Wenn er sich geärgert habe, habe er getrunken. Das sei wohl zweimal die
Woche passiert, aber auch wochenlang gar nicht. In den letzten Wochen vor seinen beiden Psy-
chosen (1911 und 1912) habe er nicht mehr wie sonst getrunken, er habe regelmäßig gearbeitet und
habe gar keinen Nachlaß seiner Arbeitskraft bemerkt. Er hält sich trotzdem für einen Trinker und
will, »um seiner Frau mit gutem Beispiel voranzugehen« (vgl. später) in eine Heilanstalt für Trin-
ker. Er erklärt jedoch, daß er gar keine Sucht nach dem Bier habe (Schnaps habe er nie getrunken),
und daß es ihm nicht schwer falle, das Trinken zu lassen. Er habe das einmal, um es den Leuten zu
zeigen, 8 Tage ohne Schwierigkeit getan. Er habe mehr nur dann getrunken, wenn er sich ärgerte.
Angaben seiner Frau, daß er in der Betrunkenheit das Bett naß mache und Möbel zerschlage, bestä-
tigt er: im Jahre 1907 habe er einige Male, aber nicht oft, wieder Bettnässen gehabt, zuletzt noch
einmal in diesem Jahre, wenn er zu viel getrunken habe. Im Jahre 1907 habe er auch einmal in der
Betrunkenheit und im Ärger Möbel zerschlagen, d.h. Verzierungen abgeschlagen u. dgl. Sie konn-
ten nachher wieder repariert werden. Die Wirtin, bei der er die letzten 6 Wochen vor seiner zwei-
ten Erkrankung (1912) allein wohnte, gab an, daß er ein fleißiger und nüchterner Arbeiter sei. Seine
Frau dagegen gibt dem Trinken die Hauptschuld an der unglücklichen Ehe. Schon ein Vierteljahr
nach der Heirat habe es angefangen. Sie gibt an, daß er - auch in der Betrunkenheit - gegen die Kin-
der nie besonders grob war, und daß er nie Eifersuchtsszenen gemacht hat. Dagegen hat er ihr fast
nie den Verdienst abgegeben. Jeder der Ehegatten ging seiner Wege.
Diese Verhältnisse sind jedoch ohne Zweifel nicht oder nicht allein auf den Alkohol zurück-
zuführen. Die Ehe wurde 1902 geschlossen. Zwei uneheliche Kinder der Frau (nicht von ihm)

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