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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0461
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

Bett wurde durch einen Motor in die Höhe gehoben. Er sah zwei ganz neue Riemen. Er fühlte
es, daß es hoch ging. Er sah zum Fenster hinaus, daß er in Dachhöhe war. Der Arzt rief: wir las-
sen Militär kommen und schießen ihn tot. Der Geist der Nacht selbst erschien in weißem
Gewände und besänftigte ihn: sei nur ruhig, sie tun uns nichts. Zuerst kamen nun 50 Schutz-
leute, ihn zu verhaften. Er hörte sie nur, sah sie nicht. Er hörte, daß angeordnet wurde: fünfzig.
Dann wurde Militär geholt, das von unten auf ihn schießen wollte, während er mit der Zelle in
der Luft schwebte. Er hörte den Schritt der Truppen, aber er hörte es nicht schießen. Der Geist
der Nacht, der den Feind mit einem Scheinwerfer beobachtete, sagte, zuerst bekomme er, dann
der Kranke 12 Schuß. Der Kranke hörte nichts, sah aber über dem Oberlicht eine große, helle
Kugel vorbeifliegen. Es war, wie wenn Tag wäre. Es hieß: jetzt ist er tot. Ein Offizier kam (wie
wenn er eine Holztreppe heraufkomme) nachzusehen, ob da kein Schwindel getrieben werde.
Man hörte ihn vor der Tür. Der sah, daß der Geist noch lebe. Es wurde von neuem geschossen.
Dann hieß es, morgens um 5 Uhr werde noch einmal geschossen.
Jetzt rückte die »süddeutsche Gebirgspartie« heran: »Der Oberbefehlshaber mit seinem ganzen
Hofrat und seinen Beamten.« Wer das war, weiß er nicht. Die Gebirgspartie trieb die Soldaten
in die Flucht.
Der Mann in dem Korbe - eine Art Beobachter - wollte den Kranken nachher foltern. Das kam
so: er wollte den Kranken in seine Stellung hineinbringen. Dieser weigerte sich: »das ist zu ein-
sam für mich, das tu ich nicht.« Der »meldete« ihn und der Kranke bekam »wegen Gehorsams-
verweigerung 30 Jahre.« Warum er Gehorsam zu leisten hatte, weiß er nicht. Er wollte nun ein-
schlafen aber der im Korb verlangte, er müsse wachbleiben, sonst würde er ihn wieder melden,
360 denn dann sei er des Todes schuldig. Ferner verlangte er, der Kranke solle | sich ruhig verhalten,
damit man ihn nicht höre. Schließlich sagte der Mann im Korbe, er wolle dem Kranken viel
schenken, wenn er ihm sein Gehirn vermache. Er wollte nämlich sein Gehirn, weil der Kranke
gescheiter war als er. Er war ja in der Prüfung allen über gewesen und hatte den »Fuchs«, die Aus-
zeichnung, die das Zeichen für Schlauheit ist. Der Kranke war jetzt seiner nicht mehr mächtig.
Er schlief ein, war diese ganze Zeit immer zwischen Schlaf und Wachen. Aber der Mann im Korb
ließ ihn nicht schlafen, weckte ihn, so daß er sofort wieder aufwachte und auch wieder jenen
Mann sah. Dann schlief er aber doch ein. Als er wieder erwachte, hatte er ein Gefühl, als ob ein
Loch im Kopf wäre, als ob er hineingreifen könne. Er dachte: nun bin ich doch betrogen, er hat
mich durch List gefangen. Er hörte: jetzt hat er dem den Verstand vollends genommen. Der
Mann im Korbe hatte ihm das Gehirn herausgenommen. Als der nun sah, daß der Kranke den
Fuchs hatte, sagte er »o, Tarifbruch«, folglich mußte der Mann mit dem Tode bestraft werden.
Übrigens erklärte der Mann: ich setze ihm ein anderes Gehirn ein, nahm einem Jungen von 6-7
Jahren mit einem Instrument das Gehirn aus dem Kopf und setzte es dem Kranken ein, wäh-
rend dessen echtes Gehirn auf einem Tischchen vor ihm lag. Der Kranke griff mit der linken
Hand an den Kopf, warf ihm das Kindergehirn entgegen: »wenn mein Verstand schon fort ist,
brauche ich auch das nicht.« Dabei hatte er das Gefühl, daß er seiner Sinne nicht mehr mäch-
tig war, daß er gar nicht mehr denken könne. Der Mann warf ihm nun von oben sein rechtes
Gehirn hinunter und sagte, er selbst sei nun des Todes schuldig, weil er Tarifbruch begangen
habe. Der Kranke wollte sein Gehirn in die Tasche stecken, hatte aber keine Kleider an und ließ
es liegen und legte es neben sich auf die Bank. Alles im Kopf war leer. Er schlief nun wieder ein,
schreckte aber gleich wieder auf und sah, daß das Gehirn trocken war, als wenn es sich verkrü-
meln ließ. Er nahm es und warf es in die Ecke. Noch eine Zeitlang hatte er ein leeres Gefühl,
anderes geschah nun, er dachte nicht mehr daran und es wurde gesagt, er sei doch noch
 
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