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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0472
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

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beiden Liebhaber seiner Frau, Bauer und der elektrische Schaffner und die Frau des
letzteren traten völlig nackt auf, wollten ihn foltern, koitierten miteinander unter Fra-
gen, ob ihm das gefalle. Seine Frau erklärte, den Schaffner heiraten zu wollen, der
Kranke wünschte Glück, aber weigerte sich, sich scheiden zu lassen.
In einer dritten Phase erscheinen dem Kranken seine ihm ganz unbekannten Vor-
fahren, erzählen ihm ihre Geschichte, versichern ihn, daß ihm nichts widerfahren
könne, daß sie ihn in Schutz nehmen würden. Es liegt nahe, diese Szene zu deuten als
Wunscherfüllung eines Triebes nach Schutz und Sicherheit in den Verfolgungen, und
den Vorwurf der Ahnen, warum er sie im Grabe störe, - er hatte sie bewußt gar nicht
gerufen - zu verstehen, als ob ein unbewußter Wunsch von seiner Seite sie herbeigeru-
fen hätte.
Wir haben jetzt also drei Motive für die psychotischen Inhalte: 1. Realisierung des
Wunsches zur neuen Vereinigung mit seiner Frau und Realisierung von Hinderungs-
gründen. 2. Realisierung der vor der Psychose tatsächlich möglichen Verfolgung durch
die Liebhaber und die Verwandten seiner Frau. 3. Vielleicht Realisierung eines Wun-
sches nach größerer Stärke, nach Schutz und Sicherheit. Diese drei Motive ziehen sich
durch die ganze weitere Psychose. Doch bleibt nur der Inhalt bezüglich seiner Frau
deutlich als solcher erkennbar, während die Verfolgungen und die Erhöhung der eige-
nen Person phantastischen Charakter annehmen und nur durch eine komplizierte
Symbolik als im Zusammenhang mit der ursprünglichen Verfolgung stehend verstan-
den werden können.
Seine Frau brach ein Bein, war schwer krank, bat ihn um Verzeihung, die er
gewährte. Das Gegenspiel dazu war dann, daß alles gelogen war, daß sie gar nicht in
Gefahr ist, zu sterben, daß sie den Schaffner heiraten will. - Als er im Laufe der Verfol-
gungen verdammt wurde, wurden seine Frau und Kinder mit ihm verdammt. Diese
waren erstaunt, hätten nicht geglaubt, daß er ihnen das antun würde (»als ob verständ-
lich« als Wunscherfüllung). Wenn sie das gewußt hätten, hätten sie ihn anders behan-
delt. - Wiederholt bittet seine Frau ihn um Verzeihung, ist mit ihm im Krankenhaus,
wird mißhandelt, gerettet, ruft ihn um Hilfe, wird schließlich in einem Loche ermor-
det. Er bittet, man möge ihn ins selbe Loch werfen. Nun begleitet ihn aber seine Frau
als Geist. Sie lehrt ihn, wie er sterben muß, um zu ihr zu kommen, die ihn immer noch
gern hat. Sie war nun in einer gewissen Entfernung dauernd als Geist bei ihm. Er legte
ihr Brot zum Essen hin. Zuletzt beim Eintritt in die Heidelberger Klinik verließ er sie,
die nun ihrerseits klagte, nun sei sie verlassen: »Kennst | du mich und die Kinder nicht
mehr?« »Adieu, Moritz, wir sehen uns nicht mehr,« waren ihre letzten Worte. - Die
Psychose gewährt dem Kranken also bezüglich seiner Frau nach vielem Hin und Her
schließlich eine ziemlich vollständige Wunscherfüllung.
Die Verfolgungen traten anfangs noch als Drohungen auf, die im Zusammenhang
mit seinem Ehekonflikt stehen: Er soll sterben oder in die Heirat seiner Frau mit deren
Liebhaber einwilligen. Dann wird aber Verfolgung, Schutz und Erhöhung seiner Per-

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