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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0512
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

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der Skepsis und die die Berufsunfähigkeit, die Unmöglichkeit, sich in der realen Welt
zurechtzufinden, mit sich brachte.
Skepsis und Berufsunfähigkeit hatten schon eine Spannung in sein Seelenleben
gebracht, die durch den Examensmißerfolg, in unmittelbarem zeitlichen Zusammen-
hang mit diesem, zur Entladung kam. Er hatte nach allem inneren Mißerfolg Alles
gleichsam auf diese eine Karte gesetzt: er erwartete die Note 1. Als hier das Unglück
eintrat, war er gänzlich verzweifelt und nun entwickelte sich sofort eine krankhafte
Veränderung (sowohl von den Angehörigen angegeben, wie von ihm selbst beschrie-
ben), aus der nach 4 Wochen die schwere akute Psychose herauswuchs. Inwiefern auch
der Inhalt der Psychose mit seinem Schicksal, aus dem die akute Phase reaktiv hervor-
geht, wieder zu einem großen Teile in verständlichem Zusammenhang steht, wollen
wir im nächsten Abschnitt sehen.
Die Reaktivität der Psychose ist in diesem Falle nicht in dem Maße deutlich, wie im
ersten Fall. Stellen wir die Frage: wäre die Psychose auch ohne das besondere Schicksal
ausgebrochen, so würden wir in unserem ersten Fall unbedenklich mit Nein antwor-
ten. Klink würde bei glücklicher Ehe - jedenfalls noch lange Zeit - gesund geblieben
sein. In dem jetzigen Falle müssen wir antworten: wäre die Examensnote eine 1 gewe-
sen, so wäre wahrscheinlich die akute Psychose nicht in diesem Zeitpunkt ausgebrochen.
Das durch den Prozeß verursachte seelische Schicksal würde aber - je länger es dauert bei
desto geringeren Anlässen - wohl unter allen Umständen zu dieser selben Art von Psy-
chose geführt haben. Schließlich können wir nicht abmessen, in wie hohem Maße etwa
ein Schub, der gewissermaßen schon im Anzuge war, durch dies reaktive Verhalten mit
ausgelöst ist. Der Kranke ist nach der Psychose wieder soweit normal geworden, wie er
es vorher war, ein Fortschritt des Prozesses hat sich nicht gezeigt. Wir werden darum
die Mitwirkung eines Schubes für sehr gering halten müssen.
Die Reaktivität zeigte sich nach der Psychose darin, daß der Kranke Abneigung gegen
die heimatlichen Verhältnisse hatte, die wieder die Berufsprobleme an ihn heranbrach-
ten; daß er sich nicht gut befand, wenn seine Mutter, die früher so viel Forderungen
bezüglich Berufsentscheidung an ihn gestellt hatte, ihn besuchte; daß er bei der ersten
Rückkehr in seine Heimat sofort einen leichten Rückfall bekam und in die Klinik
zurückging.
Der Prozeß besteht als solcher natürlich weiter: seine wahnhafte Stellung zu gewissen
Ereignissen vor der Psychose, seine anfallsartigen Zustände, gewisse Züge, die sich beson-
ders in schriftlichen Produkten kundgeben, und die auf elementare Veränderungen der
Persönlichkeit weisen, alles das sind Merkmale für den schizophrenen Dauerzustand.
| 3. Verständliche Zusammenhänge. Wir wollen zunächst die eigentümlichen ver-
ständlichen Zusammenhänge vor der akuten Psychose begreifen, deren Auftreten wir
als Folge des Prozesses ansehen. Wir wollen dann, soweit es uns möglich ist, die Inhalte
der akuten Psychose selbst zu verstehen suchen.

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