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Psychologie der Weltanschauungen
das Einzelne, Gegenwärtige, wird schon leibhaftig grenzenlos. Die ungeheuerste Aus-
breitung ins Unendliche der Welt verbindet sich mit der stärksten Intensivierung des
Gegenwärtigen, Konkreten.
In dieser Stufenreihe der Weltbilder ist der Ausgangspunkt das Unmittelbare, das
noch vor der Subjekt-Objektspaltung selbstbewußter Art liegt, der Keim, der lebt und
noch nicht objektiviert ist; der Weg führt schließlich zur Synthese der langen Reihe
der Subjekt-Objektspaltungen durch die Idee des Unendlichen hindurch zu neuer Ein-
heit, die als mystische Schließung der Subjekt-Objektspaltung oder als Funktion des
unendlichen bewegten Geistes beschreibbar ist. Für den psychologischen Beobachter
ist nirgends »das« Weltbild zu finden. Wenn es als Idealtypus vorausgesetzt wird, so
sieht die psychologische Beobachtung doch es immerfort wieder verschwinden in den
Keimen, die noch nicht entwickelt sind, und in der Gegenstandslosigkeit, die am Ende
des Unendlichen der Idee nach wird.
Was die Unendlichkeit des Weltbildes sei, ist nicht direkt begrifflich zu fassen. Das
Weltbild ist unabgeschlossen, es endet mit Richtungen, Ideen, Intensionen; es ist noch
nicht das Ganze, sondern wird zum Ganzen. Das Unendliche ist das Umfassende, in
dem alles geformte Weltbild, das als Form nur endlich sein kann, beschlossen ist. Die
Unendlichkeit ist vermöge der Richtungen, die im Geiste fühlbar sind, erfüllt, aber
nicht gegenständlich geworden. Sie bedeutet für den, welchem alle Weltbilder in dem
Unendlichen aufgehoben sind, daß in jeder Beziehung die Gegenständlichkeit unfer-
150 tig, daß noch Unendliches, Ungewußtes und Ungegenständliches, | möglich ist. Das
Unendliche ist selbst nicht Weltbild, sondern das Weltbild im Unendlichen ist als Ge-
häuse nicht kristallisierbar; das Gehäuse ist nicht fest, die Gedanken als System nicht
versteinert; die Inhalte endigen überall mit Fragen und mit Antinomien.
Denkt man die Unendlichkeit als Gegenstand, so verliert sie ihren spezifischen Cha-
rakter. Die gedachte Unendlichkeit ist selbst als Gegenstand endlich geworden, steht
mir gegenüber, als ein Geformtes, d.h. Endliches neben dem anderen Endlichen. In
dieser Form ist die Unendlichkeit nicht mehr sie selbst, sondern bloße Endlosigkeit:
Die Endlosigkeit ist das nur formal Unendliche, Inhaltsleere, Nichterfüllte und Uner-
füllbare, das bloße ewige Nocheinmal, wie es als Endlosigkeit der Zahlenreihe, als End-
losigkeit des Sammelns, als Endlosigkeit des entleerten Machtwillens usw. bekannt ist.
Die Unendlichkeit der Weltbilder heißt also: Sie sind nicht endlich, nicht fertig,
nicht geschlossen; sie sind in Fluß, ewig Fragment, unerfüllt als Ganze bei aller Erfül-
lung gegenüber der Endlosigkeit; sie sind nicht endlos, denn dann wären sie leer; sie
sind bei aller Form und allen Grenzen, die sie in sich haben, als Totalitäten formlos,
gestaltlos, bloße Ideen.
In der Geschichte des philosophischen Denkens findet man ebenso heftige Ableh-
nung der Unendlichkeit, wie Begeisterung für sie. Für Plato, für Aristoteles, man
kann wohl verallgemeinern, für das Griechentum (abgesehen von einigen Vorsokrati-
kern) ist das Unendliche das Schlechte; Maß, Grenze, Geschlossenheit, Form das
Psychologie der Weltanschauungen
das Einzelne, Gegenwärtige, wird schon leibhaftig grenzenlos. Die ungeheuerste Aus-
breitung ins Unendliche der Welt verbindet sich mit der stärksten Intensivierung des
Gegenwärtigen, Konkreten.
In dieser Stufenreihe der Weltbilder ist der Ausgangspunkt das Unmittelbare, das
noch vor der Subjekt-Objektspaltung selbstbewußter Art liegt, der Keim, der lebt und
noch nicht objektiviert ist; der Weg führt schließlich zur Synthese der langen Reihe
der Subjekt-Objektspaltungen durch die Idee des Unendlichen hindurch zu neuer Ein-
heit, die als mystische Schließung der Subjekt-Objektspaltung oder als Funktion des
unendlichen bewegten Geistes beschreibbar ist. Für den psychologischen Beobachter
ist nirgends »das« Weltbild zu finden. Wenn es als Idealtypus vorausgesetzt wird, so
sieht die psychologische Beobachtung doch es immerfort wieder verschwinden in den
Keimen, die noch nicht entwickelt sind, und in der Gegenstandslosigkeit, die am Ende
des Unendlichen der Idee nach wird.
Was die Unendlichkeit des Weltbildes sei, ist nicht direkt begrifflich zu fassen. Das
Weltbild ist unabgeschlossen, es endet mit Richtungen, Ideen, Intensionen; es ist noch
nicht das Ganze, sondern wird zum Ganzen. Das Unendliche ist das Umfassende, in
dem alles geformte Weltbild, das als Form nur endlich sein kann, beschlossen ist. Die
Unendlichkeit ist vermöge der Richtungen, die im Geiste fühlbar sind, erfüllt, aber
nicht gegenständlich geworden. Sie bedeutet für den, welchem alle Weltbilder in dem
Unendlichen aufgehoben sind, daß in jeder Beziehung die Gegenständlichkeit unfer-
150 tig, daß noch Unendliches, Ungewußtes und Ungegenständliches, | möglich ist. Das
Unendliche ist selbst nicht Weltbild, sondern das Weltbild im Unendlichen ist als Ge-
häuse nicht kristallisierbar; das Gehäuse ist nicht fest, die Gedanken als System nicht
versteinert; die Inhalte endigen überall mit Fragen und mit Antinomien.
Denkt man die Unendlichkeit als Gegenstand, so verliert sie ihren spezifischen Cha-
rakter. Die gedachte Unendlichkeit ist selbst als Gegenstand endlich geworden, steht
mir gegenüber, als ein Geformtes, d.h. Endliches neben dem anderen Endlichen. In
dieser Form ist die Unendlichkeit nicht mehr sie selbst, sondern bloße Endlosigkeit:
Die Endlosigkeit ist das nur formal Unendliche, Inhaltsleere, Nichterfüllte und Uner-
füllbare, das bloße ewige Nocheinmal, wie es als Endlosigkeit der Zahlenreihe, als End-
losigkeit des Sammelns, als Endlosigkeit des entleerten Machtwillens usw. bekannt ist.
Die Unendlichkeit der Weltbilder heißt also: Sie sind nicht endlich, nicht fertig,
nicht geschlossen; sie sind in Fluß, ewig Fragment, unerfüllt als Ganze bei aller Erfül-
lung gegenüber der Endlosigkeit; sie sind nicht endlos, denn dann wären sie leer; sie
sind bei aller Form und allen Grenzen, die sie in sich haben, als Totalitäten formlos,
gestaltlos, bloße Ideen.
In der Geschichte des philosophischen Denkens findet man ebenso heftige Ableh-
nung der Unendlichkeit, wie Begeisterung für sie. Für Plato, für Aristoteles, man
kann wohl verallgemeinern, für das Griechentum (abgesehen von einigen Vorsokrati-
kern) ist das Unendliche das Schlechte; Maß, Grenze, Geschlossenheit, Form das