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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0287
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Psychologie der Weltanschauungen

(Kant, Fichte). Für Hegel selbst ist das Absolute als Geist dieses Alles, alles einzelne ist
nur als Moment. Logik und Metaphysik fallen zusammen.
c) Die negative Theologie.251 Immer wieder erfährt der Denkende, daß er denkend das,
was er denkt, sich zum Objekt macht, daß er es damit begrenzt, daß er damit nicht
mehr das Ganze hat, daß sein Gegenstand endlich geworden ist. Diese unvermeidli-
chen Eigenschaften des Rationalen werden immer wieder bewußt, und dann endet das
Ganze des Weltbildes damit, daß über das Ganze nur Negationen und Paradoxien gesagt
werden. Dadurch wird dem Wissen entzogen, was dem Erfahren, Erringen, Glauben
vorbehalten wird, was unaussagbar, unerkennbar ist, aber Symptom von Kräften im
201 Menschen und Richtung seines unendlichen Strebens | wird. Der Form nach ist dieses
Weltbild des bloßen Zeigens ohne Inhalt (der docta ignorantia252 des Cusanus) in der
Theologie des Altertums so gut wie in der KANTischen Philosophie, so heterogen auch
diese Weltanschauungen sonst sein mögen.
Die Hoffnungslosigkeit einer anschaulich erfüllten Übertragung der Kategorien unseres Den-
kens auf das Absolute oder Übersinnliche in Verbindung mit dem Drange, doch das Absolute
zu wissen, und der Notwendigkeit, sonst jede denkende Intention auf das Absolute entbehren
zu müssen, zeigt sich z.B. großartig in den bekannten Formulierungen Augustins: Intelliga-
mus deum, si possumus, sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, sine indigentia crea-
torem, sine situ praesentem, sine habitu omnia continentem, sine loco ubique totum, sine tem-
pore sempiternum, sine ulla sui mutatione mutabilia facientem nihilque patientem.253
Die negative Theologie gewinnt ihre »Zeiger« auf drei Weisen, der via eminentiae
(Steigerungen von Eigenschaften dieser Welt; der Gebrauch der Worte »Über«, z.B.
Übersein, Übersinnlich, oder »All«, z.B. Allwissenheit, die nur scheinbar positiv sind),
der via negationis (durch einfaches nicht, durch Aufhebung der Schranken, die alles in
unserer Welt hat, z.B. der Schranken der Liebe usw.), der via causalitatis (durch Hin-
weise aus dem, was für uns leibhaftig da und erfahren ist, auf etwas, woraus das ent-
sprungen sein muß, z.B. der Gedanke: Das Absolute muß so sein, daß sinnvolles Han-
deln, überhaupt Sinn, Liebe usw. in ihm begründet ist, kann darum nicht Chaos, tot,
zufällig sein).
d) Das mythisch-spekulative Weltbild. In der negativen Theologie ist auf ein meta-
physisches Weltbild verzichtet zugunsten der schöpferischen Lebendigkeit, der mysti-
schen Erlebnistiefe, der Bewegung in Richtung auf Ideen. Das mythische Weltbild zer-
geht vor dem Denken, die Verabsolutierungen - sei es der konkreten Weltbilder, sei es
der Formen - werden gerade von der negativen Theologie als solche begriffen, darum
als beengend erkannt und empfunden: Das Ganze kann nicht Gegenstand für uns sein,
da es damit ein Teil und begrenzt wird.
Daß das Ganze da ist, daran zweifelt auch die negative Theologie nicht. Aber das
Ganze als Weltbild, als die äußersten Horizonte unseres Seins auch gegenständlich vor
uns zu haben, es zu denken und es auch anzuschauen, ist ein Bedürfnis der menschli-
 
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