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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0110
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Wahrheit als Mitteilbarkeit

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Dieser Vergleich von Mensch und Tier weist nur hin auf die Kommunikation als
universale Bedingung des Menschseins. Sie ist so sehr sein allumfassendes Wesen, daß,
was auch der Mensch ist und was für ihn ist, in irgendeinem Sinne in der Kommuni-
kation steht: Das Umgreifende, als das wir sind, ist in jeder Gestalt Kommunikation;
das Umgreifende, das das Sein selbst ist, ist für uns nur, wie es in der Mitteilbarkeit Spra-
che wird oder ansprechbar ist.
Wahrheit läßt sich daher von der Mitteilbarkeit nicht lösen. Nur als Wirklichkeit
durch Mitteilung zeigt sie sich im Zeitdasein. Lösen wir die Wahrheit von der Mittei-
lung, so erstarrt sie zur Wesenlosigkeit. Die Bewegung aber in der Kommunikation ist
in Einem Bewahren und Suchen des Wahren.
Allgemein gilt von meinem Sein, meinem Wahrsein und meinem Ergreifen der
Wahrheit: Ich bin nicht nur faktisch nicht für mich allein, sondern kann nicht einmal
ich selbst als ich allein werden, ohne aus dem Sein mit Anderen für mich hervorzuge-
hen.156
Wahrheit ist nicht einer Art, nicht eine und die einzige. Sie hat einen mehrfachen Sinn
nach der Weise der Kommunikation, worin sie auftritt. Denn was Wahrheit ist, liegt
zugleich im Wesen des Umgreifenden, worin Mitteilung erfolgt, beschlossen: ob Mittei-
lung von Dasein zu | Dasein, oder an das Bewußtsein überhaupt gehe, oder in der Idee
des Geistes geschehe; dann weiter, ob die Kommunikation in dem Band dieser Weisen
des Umgreifenden, der Vernunft, und ihrem Boden, der Existenz, sich vollzieht. Mit
diesem Umgreifenden157 dessen, als was wir in Kommunikation stehen, ist auch diese
Weise der Wahrheit bestimmt, die jeweils gilt, und wer der Mitteilende und der die Mit-
teilung Verstehende ist.
Wir gehen die Weisen des Umgreifenden mit der Frage nach der in ihnen gesche-
henden Mitteilung durch, indem wir sie einzeln charakterisieren, als ob sie voneinan-
der trennbar wären:
I. Das Umgreifende unseres Daseins ist nicht identisch mit dem wissenschaftlich
schon erkannten Dasein, als das wir uns wissen, bleibt vielmehr zugleich in allem Er-
kennen dessen, was es physiologisch, psychologisch und soziologisch ist, weiterhin
Aufgabe fortschreitender Erkennbarkeit.
Dies unser Dasein will sich grenzenlos erhalten und erweitern, will darin Befriedi-
gung und Glück.
Diese Ziele zu erreichen, erzwingt das Umgreifende des Daseins die Kommunika-
tion einer daseinserhaltenden Gemeinschaft. Das Interesse (oder vielmehr das, was
ein jeder für sein Interesse hält) findet sich wieder in dem Anderen. Die Not bindet zu-
sammen gegen die alle gemeinsam bedrohende Natur und gegen die anderen Gemein-
schaften. Das Eigeninteresse jedes Einzeldaseins steht zugleich in Spannung gegen
diese Bindung, fast jederzeit bereit, bei nachlassender Not die Gemeinschaft wieder zu

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