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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0113
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HO

Grundsätze des Philosophierens

Allgemeines wie concret Wiedererkennbares, etwas die Widerspruchslosigkeit durch
Widersprechendes, die Ordnung durch Durchbruch der Ordnung Umfassendes.
Es ist eine historische Frage, in welcher Gestalt solche Systeme in der Tat versucht
worden sind. Man würde Kategorien, die über ihren bestimmten Sinn zu einem Uni-
versalen, Beweglichen, Umfassenden erweitert sind, wie Entwicklung, Emanation,
Schöpfung, würde die Deutbarkeit im Dialektischen, das Zusammenfallen3 allgemei-
ner Form und geschichtlicher Concretheit und anderes finden. Das Maximum an
Coincidenz von System, Methode, Princip und Concretheit liegt vielleicht im System
Hegels vor. Alle anderen sind entweder magerer, oder sind unter Zuhilfenahme mehr
äusserer, rationaler Gruppierungsformen entfaltet.
Allen Systemen gegenüber aber ist zu fragen, ob nicht ein System des philosophi-
schen Gedankens als Widerhall des Systems des Seins unmöglich ist und daher falsch
bleiben muss. Das Sein ist auf keine Weise im Ganzen ein System, sondern es gibt im
Sein, für menschliches Erkennen erhellbar, Systeme, Ordnungen, und es gibt für mensch-
liches Erkennenwollen eine grenzenlose Systematik als Bewegung. Das System, an sich
falsch, vernichtet, wenn es geglaubt wird, die Freiheit, verschleiert dem Menschen die
Möglichkeit im Ursprung seiner Existenz, lenkt ihn ab von dem ihm Wesentlichen, ver-
führt ihn in grossartige Anschauungen, in denen er sich selbst vergisst und zugleich das
Sein im Ganzen aus dem Auge verliert, des Umgreifenden verlustig geht.
Für eine Darstellung des Philosophierens im Werk würde daher die beherrschende
Zugrundelegung einer noch so tiefen Systematik fehlerhaft sein. Die jeweilige Ord-
nung der philosophischen Gedanken in einer Systematik, durch die wir uns der er-
reichten Möglichkeiten vergewissern, würde vielleicht gerade bei einer äusseren Grup-
pierung und Aufzählung, bei Unsymmetrie am ehesten der Wahrhaftigkeit des
Denkenden Genüge tun. Darin würden die tiefsten, bis dahin gewonnenen Systema-
tiken als doch immer noch partikulare und relative vorkommen. Gerade die Äusser-
lichkeit des Ganzen in ordnender Darstellung des Philosophierens verwehrt die Ver-
wechslung von System und Sein, zeigt, dass die systematische Ordnung des Ganzen
nur unser ständig umzubauendes Werkzeug, nicht die Sache, nicht das Sein selber ist.
Ich weiss im Philosophieren systematisch, aber ich weiss das Sein nicht im System.
Abschluss
Werfen wir einen Blick zurück auf die vier Fragen.
Die erste Frage war: Was weiss ich? Die Antwort sprach die Erscheinungshaftigkeit
des Daseins aus. Das Ergebnis ist die Forderung an das Seinsbewusstsein im Ganzen:
Verwechsle nicht Erscheinung und Sein!

Zusammenfallen in der Abschrift Gertrud Jaspers hs. Vdg. für Coincidieren
 
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