Grundsätze des Philosophierens
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In Polaritäten kann unwahrer Weise der eine Pol gegen den anderen ausgespielt wer-
den. Von solchen Polaritäten ist uns eine im Vorhergehenden wiederholt begegnet: Ich
bin nur mit dem Anderen; und weiter: ich bin nur in und mit einer Welt. In solcher Po-
larität kann ich nur scheinbar mit dem Verstand das Sein des einen Pols herausreissen,
entweder das Ich oder den Anderen und die Welt. Aber eines ist nicht ohne das andere,
das eine verschwindet mit dem anderen. Diese Polarität wandelt sich ab: Dasein bin ich
nur als Glied eines sich im Dasein behauptenden Ganzen (Familie, Gemeinschaft,
Staat), Glied aber bin ich nur, wenn ich zugleich ein Einzelner bin; - Existenz bin ich
nur mit Gott; - ich bin in Subjekt-Objekt-Spaltung Subjekt nur, indem ich auf Objekte
gerichtet bin, während Objekte nur sind, sofern sie es für Subjekte sind. In solchen Po-
laritäten kann ich wieder jeweils die eine Seite betonen, z.B. das Ganze, Gott, das Ob-
jekt, oder das einzelne Dasein, Existenz, das Subjekt. Aber ein Ausspielen des einen Pols
gegen den andern, als ob er allein oder vorwiegend Recht hätte, ist immer falsch. Es ist
nur die Frage, wo die Spaltungen eintreten, ein Gegeneinander sich entwickelt, ein Vor-
rang behauptet wird, und wie in der Bewegung solcher Spaltung das Umgreifende sich
erhält.
Solche Polaritäten, ferner andere Gegensätzlichkeiten, Widersprüche, gegenein-
ander wirkende und sich zugleich haltende Kräfte werden im Erdenken des Seins über-
all klar. Zum Philosophieren gehört eine geübte Dialektik, um nicht im alternativen
Verstandesdenken und damit in dem fixierenden Isolieren eines Gedachten Weite und
Freiheit zu verlieren.
g. Das System. - Erkennen geht auf Zusammenhang. Vollendete Erkenntnis muss
das Erkannte in einem einzigen durchgehenden Zusammenhang, im System, vor Au-
gen haben.
Im Philosophieren hat der Mensch sich wohl die Aufgabe gestellt, in einem Gedan-
kengebäude das Sein im Ganzen zu erfassen, die Welt aus ihren Principien ableitend zu
begreifen. Die Voraussetzung bei solchem Verfahren ist, dass das Sein selber ein System,
eine einzige, nachdenkbare, allumfassende Ordnung sei. Die Mittel des Systemseins und
des Systemdenkens sind die Wirklichkeit denkbarer, an Zahl begrenzter Principien und
eine Weise des Zusammenhangs, bei der Seinszusammenhang und Denkzusammen-
hang coincidieren.
Es käme also darauf an, die tiefste und letzte Weise des Zusammenhangs des Seins
im Denken zu vollziehen und diese Weise des Zusammenhangs als den systematischen
Zusammenhang für das Gebäude des Seins - Gott, Seele und Welt - zugrundezulegen.
Dafür würde sich am wenigsten eignen eine äussere Gruppierung von Seinsgestalten,
mehr schon eine causale Ableitung, aber doch am Ende überhaupt kein einzelner be-
stimmter Ordnungszusammenhang, keine bestimmte beherrschende Kategorie, son-
dern nur ein einziger, unendlich abwandelbarer, gegenständlich unbestimmter, zu-
gleich existentieller, geistiger und Daseinszusammenhang, etwas ebenso abstrakt
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In Polaritäten kann unwahrer Weise der eine Pol gegen den anderen ausgespielt wer-
den. Von solchen Polaritäten ist uns eine im Vorhergehenden wiederholt begegnet: Ich
bin nur mit dem Anderen; und weiter: ich bin nur in und mit einer Welt. In solcher Po-
larität kann ich nur scheinbar mit dem Verstand das Sein des einen Pols herausreissen,
entweder das Ich oder den Anderen und die Welt. Aber eines ist nicht ohne das andere,
das eine verschwindet mit dem anderen. Diese Polarität wandelt sich ab: Dasein bin ich
nur als Glied eines sich im Dasein behauptenden Ganzen (Familie, Gemeinschaft,
Staat), Glied aber bin ich nur, wenn ich zugleich ein Einzelner bin; - Existenz bin ich
nur mit Gott; - ich bin in Subjekt-Objekt-Spaltung Subjekt nur, indem ich auf Objekte
gerichtet bin, während Objekte nur sind, sofern sie es für Subjekte sind. In solchen Po-
laritäten kann ich wieder jeweils die eine Seite betonen, z.B. das Ganze, Gott, das Ob-
jekt, oder das einzelne Dasein, Existenz, das Subjekt. Aber ein Ausspielen des einen Pols
gegen den andern, als ob er allein oder vorwiegend Recht hätte, ist immer falsch. Es ist
nur die Frage, wo die Spaltungen eintreten, ein Gegeneinander sich entwickelt, ein Vor-
rang behauptet wird, und wie in der Bewegung solcher Spaltung das Umgreifende sich
erhält.
Solche Polaritäten, ferner andere Gegensätzlichkeiten, Widersprüche, gegenein-
ander wirkende und sich zugleich haltende Kräfte werden im Erdenken des Seins über-
all klar. Zum Philosophieren gehört eine geübte Dialektik, um nicht im alternativen
Verstandesdenken und damit in dem fixierenden Isolieren eines Gedachten Weite und
Freiheit zu verlieren.
g. Das System. - Erkennen geht auf Zusammenhang. Vollendete Erkenntnis muss
das Erkannte in einem einzigen durchgehenden Zusammenhang, im System, vor Au-
gen haben.
Im Philosophieren hat der Mensch sich wohl die Aufgabe gestellt, in einem Gedan-
kengebäude das Sein im Ganzen zu erfassen, die Welt aus ihren Principien ableitend zu
begreifen. Die Voraussetzung bei solchem Verfahren ist, dass das Sein selber ein System,
eine einzige, nachdenkbare, allumfassende Ordnung sei. Die Mittel des Systemseins und
des Systemdenkens sind die Wirklichkeit denkbarer, an Zahl begrenzter Principien und
eine Weise des Zusammenhangs, bei der Seinszusammenhang und Denkzusammen-
hang coincidieren.
Es käme also darauf an, die tiefste und letzte Weise des Zusammenhangs des Seins
im Denken zu vollziehen und diese Weise des Zusammenhangs als den systematischen
Zusammenhang für das Gebäude des Seins - Gott, Seele und Welt - zugrundezulegen.
Dafür würde sich am wenigsten eignen eine äussere Gruppierung von Seinsgestalten,
mehr schon eine causale Ableitung, aber doch am Ende überhaupt kein einzelner be-
stimmter Ordnungszusammenhang, keine bestimmte beherrschende Kategorie, son-
dern nur ein einziger, unendlich abwandelbarer, gegenständlich unbestimmter, zu-
gleich existentieller, geistiger und Daseinszusammenhang, etwas ebenso abstrakt